Husuma

25. November 2010

Gentechnik-Prozess endet mit Einstellung


Unter großem Polizeiaufgebot und unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurde am 25.11 der Prozess gegen drei GentechnikgegnerInnen am Amtsgericht Rostock fortgesetzt. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, gemeinsam mit anderen im April 2009 ein Genfeld bei Groß Lüsewitz besetzt zu haben, auf dem Versuche mit gentechnisch manipulierten Pflanzen durchgeführt werden. Nachdem der Prozess durch die Eingangskontrollen mit Verzögerung begann, kam das Ende überraschend schnell. Nach nicht einmal einer Stunde Verhandlung stellte der Richter das Verfahren ohne Auflagen ein.

Nahe Rostock, in der Gemeinde Groß Lüsewitz, steht das „Aggro-Biotechnikum“. Hier befindet sich einer der wichtigsten Gentechversuchsstandorte der Republik, welcher von der Geschäftsführerin Kerstin Schmidt und der Uni-Professorin Inge Broers teilweise mit an Geldwäsche erinnernden Förderpraktiken (*1) hochgezogen wurde. Hier werden hoch riskante Freilandversuche durchgeführt. Der Forschungssinn darf jedoch bezweifelt werden, denn leitende Techniker sagten u.a vor Gericht bezüglich der Frage nach der Ernsthaftigkeit der Forschung aus, dass sie „dieses Jahr schon zweimal da gewesen“ seien. (*2)

Die Feldbesetzung
3.4. 2009: Bei Nacht schleichen ca. 20 hauptsÀchlich junge Menschen auf ein Genfeld in Groß-Lüsewitz am „Aggro-Biotechnikum“. Im Handgepäck haben sie ein 12 Meter hohes, hölzernes Dreibein. Als es steht, klettern vier von ihnen hinauf und ketten sich dort oben fest, um die Ernsthaftigkeit ihres Protestes gegen Gentechnik zu verdeutlichen. Einige der anderen befördern mit Beton ausgegossene Stahlfässer heran, die ebenfalls mit Ankettvorrichtungen versehen sind. Doch es nützt alles nichts: Zum Schutz der nur für das Aufpeppen von Konzernbilanzen nützlichen Gentechnik wird eine gigantische Streitmacht aus unterschiedlichen Polizeieinheiten mobilisiert, die nach und nach mit Gewalt das Feld von den friedlichen BesetzerInnen räumen. „Wir wollten mit unserer Genfeldbesetzung die Aussaat des gentechnisch manipulierten Saatguts verhindern. Ist es erst einmal gesät, lässt es sich nicht mehr zurückholen und stellt durch die vielfältigen Wechselwirkungen in der Natur eine Gefahr dar!“, sagte damals eine der Angeklagten.

Strafbefehle für politischen Protest
Nach Jahren des immer wiederkehrenden Protestes war es dem Staatsschutz Rostock und der Geschäftsführerin des „Aggro-Biotechnikums“ (Kerstin Schmidt) gelungen, drei AktivistInnen vor Gericht zu stellen. Die drei Angeklagten sollen an der Genfeldbesetzung im Frühjahr 2009 beteiligt gewesen sein. Bei dieser Aktion in freier Wildbahn unter freiem Himmel (was u.a. ein Problem der Gentechversuche darstellt) soll es sich um Hausfriedensbruch handeln. Im Vorfeld hatte das Gericht auf Anregung des Staatsanwaltes Lückemann Strafbefehle zu 30 Tagessätzen a 20 Euro verschickt. Da die Beschuldigten gegen dieses Strafgeld Widerspruch einlegten und das Gericht die Verfahren nicht einstellte, kam es zum Prozess.

Der Prozess am 1. Juni
Am 1.6.2010 wurde versucht, im Amtsgericht Rostock gegen drei der BesetzerInnen wegen Hausfriedensbruch verhandelt. Nach jahrelangem Widerstand gegen das „Aggro-Biotechnikum“, dem es nie gelang, den Protest zu unterbinden, kam es nun zum ersten Mal in diesem Kontext zu einem Strafverfahren. Zudem war dieses Verfahren das allererste bundesweit, das es wegen einer Genfeldbesetzung vor Gericht schaffte. Bisher wurden alle Verfahren wegen der jedes Mal relativ dünnen Beweislage für strafbares Verhalten eingestellt. „Hier zeigt sich deutlich: Ein Fördergeld-Absahn-Verein wie das „Aggro-Biotechnikum“, der mit so hochriskanten Technologien wie der Gentechnik zum Schaden von Natur und Umwelt rumspielt, kann sich auf den Schutz durch Polizei und Justiz auch in einem demokratischen Regime verlassen.“ so einer der Angeklagten. Trotzdem wollten die Angeklagten sich nicht einschüchtern lassen: „Wir rufen alle Menschen, die sich herrschaftskritisch gegen Gentechnik engagieren, auf, uns zu unterstützen. Kommt vorbei, macht Aktionen, Gerichte zu Baulücken, Aggro-Biotechnika zu Abenteuerspielplätzen!“ Die Angeklagten freuten sich ausdrücklich über jede Art von Aktion.

Großeinsatz im Gericht
Das Ergebnis ihres Aufrufes konnte sich sehen lassen: Nicht einmal die Aufnahme der Personalien gelang planmÀßig. Der zuständige Richter Ralf Klimasch ließ bereits nach einer Viertelstunde auf Antrag der Staatsanwältin den Gerichtssaal von einem Großaufgebot der Rostocker Polizei räumen, ohne überhaupt eine einzige inhaltliche Sache geklärt zu haben. Die absolut friedliche Verhandlung endete jäh durch das Eingreifen der staatlichen Schlägertruppen in Form von Justizwachmenschen sowie von ca. 30-50 PolizistInnen. Offenbar fühlte sich der Richter in seiner Ehre gekränkt, weil er seine gewohnten Prozessabläufe nicht mit Worten durchsetzen konnte. Also musste er auf seine HandlangerInnen zurückgreifen. Schon zu Beginn entbrannte eine Diskussion über die Mütze eines Zuschauers, die dieser trotz Aufforderung des Richters nicht abnehmen wollte. Als der Richter ihn aufforderte, seinen „Hut und anderes“ auszuziehen, nahm dieser das Gesagte wörtlich, und fing an Schuhe, Socken und weitere Kleidungsstücke abzulegen. Jedoch fand der Richter keinen souveränen Umgang damit, und hinderte obendrein noch einen Angeklagten an der Verlesung eines Antrags. Nach einer kurzen Pause gab der Richter dem zwischenzeitlich gestellten Antrag der Staatsanwältin auf Räumung des Saals statt und alles, was die Rostocker Polizei spontan zu bieten hatte, erschien im Gericht. Die ZuschauerInnen wurden einzeln aus dem Saal gezerrt, wobei sich manche mit Kabelbindern an den Stühlen befestigt hatten. Die Überforderung dabei war den PolizistInnen deutlich anzumerken, da sie ihre Maßnahmen teilweise mit erheblicher Brutalität wie Schubsen, Würgen und zu Boden schmeißen, durchführten. So fühlte sich die Staatsmacht gezwungen, alle Personen im Gerichtsflur zu kesseln um deren Personalien aufzunehmen. Nicht einmal zwei Kleinkinder, die mit ihrer Mutter vor Ort waren, schreckten die BeamtInnen ab. Auch ein Polizist in Zivil, der von Anfang an unter den ZuschauerInnen war, traute sich in Anwesenheit seiner KollegInnen, mit einzugreifen. Von diesen Maßnahmen betroffen waren auch die Angeklagten, obwohl bis dato noch gar nicht feststand, dass der Prozesstag beendet sein würde. Einer wurde sogar zu Boden geschubst und aus dem Saal gezerrt; eine andere Angeklagte wurde zur Polizeiwache gebracht. Schließlich wurden sechs Personen in Gewahrsam genommen, die durch die Spontanversammlung von ZuschauerInnen vor der Polizeiwache sowie etlichen Nervanrufen dort nach zwei Stunden wieder frei kamen.

Der 2. Verhandlungsversuch
Unter großem Polizeiaufgebot und unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurde am 25.11. der Prozess gegen drei GenfeldbesetzerInnen am Amtsgericht Rostock fortgesetzt. In den Verhandlungssaal durften nur die drei Angeklagten und ein Verteidiger. Zum Auftakt stellte der Verteidiger einen Antrag einen der Angeklagten nach StPO §138,2 zu verteidigen. Dieser wurde nach der Stellungnahme des Staatsanwaltes („Ablehnen!“) zurückgestellt . Auf die Aufforderung, ihre Personalien zu nennen, stellten zwei Angeklagte einen Befangenheitsantrag. Der erste bezog sich auf die verletzte Fürsorgepflicht des Richters gegenüber den Angeklagten beim ersten Verhandlungsversuch im Juni. Damals wurde einer der Angeklagten „aus Versehen“ mit Gewalt mit aus dem Saal geräumt, als die ZuschauerInnen ausgeschlossen worden waren. Der zweite Befangenheitsantrag konnte nicht zu Ende gestellt werden, weil der Staatsanwalt ein Scharmützel um die angeblich zu lauten, ausgeschlossenen ZuschauerInnen begann. Nach Gegenwind von der auf ihre strafprozessualen Rechte beharrenden Anklagebank bat der Staatsanwalt den Richter um eine Unterbrechung. Nach der Unterbrechung vertagte der Richter die Hauptverhandlung auf unbestimmte Zeit, und teilte den Angeklagten das Einstellungsangebot auf Staatskosten, ohne Auflagen mit. Es habe sich praktisch um eine „Feldbesetzung light“ gehandelt. Außerdem sei die Rechtslage um den rechtfertigenden Notstand schwierig. Der Staatsanwalt stimmte der Einstellung mit den Worten „Ich hab Wichtigeres zu tun, als dieses Kasperle-Theater“ und „Jetzt kann ich endlich richtig zur Arbeit gehen!“ zu. Daraufhin bat der Richter die Zeugen herein, um sie abzuladen. Auf dieses Signal hin brach vor der Saaltür spontaner Jubel aus. Die Polizei hielt sich daraufhin zurück, es kam zu keiner weiteren Eskalation, und auch die Kundgebung vor dem Gericht konnte ohne Vorfälle eine halbe Stunde später durch den Anmelder beendet werden.

Weitere Prozesse in 2011

Allerdings werden auch im nächsten Jahr die Kriminalisierungsversuche gegen GentechnikgegnerInnen weiter gehen. Neben Zivilprozessen wegen Betretungsverboten wird es auch wieder Strafprozesse geben. Zum einen sind wegen der Genfeldbesetzung 2009 noch 14 Personen angeklagt. Zum anderen wird bereits am 20.1. eine angebliche Sachbeschädigung verhandelt. Ein Wachmann behauptet, auf Fotos eine Aktivistin „zu 80%“ als eine der Personen erkannt zu haben, die im Frühjahr 2009 das nach der Räumung doch noch ausgesäate Genfeld zerstört zu haben.

Spendenkonto für Prozesse und Öffentlichkeitsarbeit
Förderverein „Spenden & Aktionen“
Kontonummer 9288 1806
BLZ 51390000
Volksbank Gießen
Betreff: Lüsewitz

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