Husuma

18. April 2009

Tiefpunkt des dt. Anarchismus?

Da in der Diskussion um den Anarchie-Kongress 2009 und die Geschehnisse um die Gruppe „Fuck for forest“alles andere unter zu gehen scheint, soll hier versucht werden, die Perspektive auch auf andere problematische Momente im Kontext des A-Kongresses zu richten.

Auf dem Klo des Projekthauses, in dem ich wohne, hing als ich das vorletzte Mal dort war, ein Aufkleber „Anarchistischer Kongress“. Eine meiner Mitbewohnerinnen, der zentrale Elite bei uns, fragt mich daraufhin: „Würdest du ihn abnehmen?“ Ich zucke mit den Schultern: „Der Kongress wird so werden, wie die Bewegung, die ihn organisiert. Lass ihn bis Ostern hängen.“

Anarchistischer Kongress oder Kongress über Anarchie?
Der Unterschied lässt sich klar definieren: Auf einem Kongress über Anarchie wird über Anarchie diskutiert, während ansonsten alles ganz normal herrschaftsförmig organisiert ist. Ein anarchistischer Kongress hingegen ist „herrschaftsfrei“-was auch immer das heißen mag. Noch eine Anmerkung: In der nachfolgenden Analyse wird das Thema „Sexismus“ explizit ausgeklammert. Zum einen ist da folgender Text besser:

https://de.indymedia.org/2009/04/247021.shtml

Zum anderen sollen hier Aspekte aufgezeigt werden, die bisher in der Diskussion eher untergingen. Damit ist jedoch keine Wertung bezüglich der Wichtigkeit der Problematiken verbunden.

Es geht hier also um die Frage, in wie weit „Anarchie“ auf dem Anarchie-Kongress stattfand. Dabei müssen einerseits die Rahmenbedingungen betrachtet werden, anderseits das konkrete Verhalten der handelnden Personen hinterfragt werden.

Handlungsfähigkeit der Individuen?
Eine Grundannahme, wie Herrschaftsfreiheit verwirklicht werden könnte, ist der Wunsch, die Rolle der Individuen in einer Gesellschaft möglichst unabhängig und individuell handlungsfähig zu gestalten. Ein Versuch dahin kann Selbstorganisation sein. Wie sah es also mit dem Aspekt der Selbstorganisation des Anarchie-Kongresses aus? In meinen Augen gab es diese nicht. Der Kongress glich eher einen „All-Inclusive-Bildungsurlaub“. Die Workshops stehen, um Essen kümmert sich ein professionelles Kollektiv, selbst die Infothek-Schichten kommen ohne Partizipation der Teilnehmenden aus. Dazu passt auch, dass es ein Orgateam gibt, dass sich nicht wirklich auflöst, sondern weiterhin halboffiziell Entscheidungen trifft, die für alle Anwesenden zu gelten haben.

Trotz Aktionsverbot in die Anarchie?
Ein Beispiel dafür ist das offensichtlich bestehende Aktionsverbot für die Kongressteilnehmenden, dessen kritische Diskussion leider im „Fuck-for-forrest-Trouble“ unterging: Als über die „Nackt-Blockade“ diskutiert wurde, bemerkte eine Person, dass es doch die Absprache gäbe, dass keine Aktionen vom Kongress ausgehen sollten. So selbstverständlich der Gedanke, die „Nacktblockade“ zu sabotieren auch sein mag, stellt ein „Aktionsverbot“, an dass sich alle zu halten hätten, doch einen ziemlich krassen Widerspruch zum herrschaftsfreien Konzept der Anarchie dar. Und nebenbei stellt sich die Frage, wie bitte das Erreichen einer herrschaftsfreien Gesellschaft ohne Aktionen möglich sein soll. Das dieses Werkzeug für gesellschaftliche Veränderungen aus den Händen gegeben wird, um nur zu reden, zeigt deutlich die Misere der anarchistischen Bewegung in Deutschland. Selbst bei den A-Tagen in Frankfurt 1993 gab es immerhin eine Abschlussdemo.

Sensibilität für Herrschaftsmechanismen?
Auch zeigt der Kongress deutlich eine mangelnde Sensibilität für informelle und diskursive Herrschaftsmechanismen in der Bewegung. Anstatt die Diskussion auf dass „Wie weiter?“ nach dem gescheiterten Rauswurfversuchen möglichst offensiv zu fuhren, und in der Auseinandersetzung um die Sexismusvorwürfe in eine offensive Position zu gelangen, tagt ein durch nichts legitimierter „Rat“ (anscheinend fehlten selbst Orga-Team-MitgliederInnen) unter explizitem Ausschluss der Öffentlichkeit („Nicht-Stören“-Schild). Schade.

Eine kleine Gruppe kann den Kongress auflösen
Das der Kongress letztlich von einer kleinen Gruppe aufgelöst werden kann, liegt daran, dass auch angeblich emanzipatorische Projekte wie z.B. das Bethanien, in dem der Anarchie-Kongress u.a. stattfand, so organisiert sind, dass es privilegierte Menschen gibt, die einen besonderen Zugriff auf die Infrastruktur haben. Oft wird dies sogar noch durch Hausrecht zementiert. Obwohl sich oft leicht rechtlich organisierte Unverantwortlichkeit schaffen liese, wird darauf verzichtet. Dies geschieht oft aus Kontrollverlustängsten der Eliten, und wird z.B. mit der Angst begründet, das doch z.B. gegen Sexisten vorgegangen werden müsse. Dass die Wirksamkeit dieses Rechtsstatus immer noch von der Durchsetzungsstärke der beteiligten Personen abhängt, zeigt der A-Kongress deutlich. Trotzdem wird selten auf dieses Instrument verzichtet und so eine Chance zum Abbau von Herrschaftsverhältnissen in gesellschaftlichen Subräumen, die von Teilen der Bewegung kontrolliert werden, verpasst.

Tiefpunkt der Bewegung?
Den Kongress nun als Tiefpunkt der Bewegung zu bezeichnen, lässt aus diesen Punkten nicht ableiten. Ein Kongress ist eben nur so gut, wie die Bewegung, die sie organisiert. Die Form der Auseinsandersetzung der Bewegung ist seit Jahren auf dem heutigem Niveau. Wenn die taz schreibt, das Publikum sei jung, die Workshops von immer denselben oft grauhaarigen Männern gehalten, dann stimmt das leider. Nur lassen sich die bedenkliche Zustände seit Ostern 2009 nicht mehr leugnen. Doch auch das Gegenteil muss nicht zwangsläufig etwas bedeuten: So gingen nach einer Hochphase des Anarchosyndikalismus in den 1920zigern aus den Resten einiger Gruppen der „Freien Arbeiter-Union Deutschland“ im Ruhrpott die ersten NSDAP-Ortsgruppen hervor.

Labels statt Inhalte?

Meinen persönlichen Tiefpunkt des Anarchismus in Deutschlands erlebte ich, als ich das letzte Mal das Klo meines Projekthauses betrat. Der Aufkleber war mittlerweile abgekratzt. Doch daneben hing ein Zettel: „Kann mir mal bitte jemand erklären, warum der Aufkleber weg ist? Ich mein, falls mehr als Zerstörungswut dahinter steckte…“ Labels, Image und Lifestyle sind auch bei mir zu Hause alles, und Inhalte leider viel zu oft egal.

Unfreiwilliges Marketing für eine Porno-Seite
Eine Off-Topic-Bemerkung am Rande: In diesem Text wird zweimal (gleich leider dreimal) das Label „Fuck for forrest“ erwähnt. Nicht nur mir geht das so. Es scheint nicht mehr möglich zu sein, über den Anarchie-Kongress zu berichten und zu diskutieren, ohne auch das besagte Label zu promoten. Was für ein gigantisch erfolgreicher Marketing-Feldzug für eine Porno-Seite. Seufz.

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