Husuma

1. Mai 2006

Direktes Handeln in der Schule

„In der Schule lernt man fürs Leben, nicht für die Lehrer!“ Leider stimmt dieser Satz, den die Hauptaufgabe der Schule ist nicht die Wissensvermittlung, sondern die Konditionierung der Schülis auf ein herrschaftskonformes Leben. Deshalb sind Herrschaft und Autorität selten so spürbar wie in der Schule. Doch das macht Schule spannend: Selten ist es so einfach, Unterdrückung zu thematisieren. Ein Artikel mit Ansätzen, um aus jeder Schulstunde eine Aktion zu machen.

„Thomsen! Die Vokabeln für heute!“ „Äh, also…“ „Wie, Sie haben sie nicht gelernt?“ „Äh doch, aber…“ „Aber Sie können sie nicht! Das ist nicht gelernt! Thomsen, Thomsen, was soll ich mit ihnen nur machen! Ständig zu spät, und dann ihre Haare! Aber ihr Bruder ist ja auch nix geworden. So Lena, zeigen sie diesem Sauhaufen hier mal, wie das geht!“

Wege aus der Hilflosigkeit
Eine typische Situation, die zeigt, wie Schülis in scheinbar ausweglose Situationen gedrängt werden. Die erste Reaktion darauf ist häufig Empörung in der Pause, eventuell wird noch die „VertrauenslehrerIn“ eingeschaltet. Das führt dann meistens zu nichts, weil die typischen Beschwerdeinstanzen (Schülivertretung, „Vertrauenslehris) einfach keine Durchsetzungsmöglichkeiten haben. Selbst an meiner Schule, wo die SV-Heinis echt bemüht waren, aus ihrer systemimmanenten Handlungsunfähigkeit auszubrechen, ist dies kaum gelungen. Der einzige Punkt, wo das gelang, war die Schülizeitung, in der Fälle wie oben gnadenlos ausgewalzt und mit allen Klopperkommentaren von Schulleitung, Lehris etc. veröffentlicht wurden. Dies führte allerdings nicht zu weniger Herrschaft, sondern lediglich zu Privilegien: Nur der individuelle Handlungsspielraum für die Zeitungsheinis erweiterte sich. Daran zeigt sich, dass Schülizeitungen gut und wichtig für Gegenöffentlichkeit sind, aber nicht per se bessere Verhältnisse schaffen. Und SV-Menschen müssen schon sehr frech und abgebrüht sein, um ihren Job so wenig ernst zu nehmen, das sie damit ernsthaften Widerstand leisten, und nicht nur die tolle demokratische Fassade der Schule schönen.

Wieder handlungsfähig werden
„Thomsen! Sie sind schon wieder 3 Minuten zu spät!“ „Ja, aber natürlich. Es gibt in meinem Leben ja auch mehr, als mich sinnlos anschreien zu lassen.“ „Haben Sie die Hausaufgaben!“ „Aber Herr Meier, sie wissen doch, das ich aus Prinzip keine Hausaufgaben mache, weil ich Dinge verstehen möchte, und nicht nur sinnlos auswendig lerne.“ „Und äh letzte Stunde, wo waren sie da?“ „Am Strand in der Sonne. Wann ich Latein lerne, kann ich mir aussuchen, wann die Sonne scheint, leider nicht.“ „Äh ja, dafür gibt es jetzt aber einen Strich!“ „OK, wenn sie sich dann besser fühlen. Sie dürfen das nächste mal aber gerne mitkommen. Am Strand ist genug Platz für alle.“

Verbote gezielt übertreten
Ein Klassiker ist auch das Gespräch über das Es-und Trinkverbot, oder die allgemeine Bedürfniskonditionierung auf den 45 Minutentakt. Oder das Gespräch, in dem der Lehri fordert, das die Schülis sich selbst benoten, und dies abgelehnt wird, weil die Note nur auf persönlichen Präferenzen des Lehris beruhe. Oder die Klarstellung, dass der Lehrer befehlen solle, statt bitten, nur um ihm dann zu erklären, das mensch selber denken könne, und keine Befehle bräuchte. Und immer wieder toll: Ein Lehrer tickt aus, und droht wegen aufsässigem Verhalten mit mießer Note und wird mit dem Absatz aus dem Schulgesetz konfrontiert, das Verhalten nicht in die Note mit eingehen darf, sondern nach Absatz blabla geahndet werden muss. Und das macht eh keiner. Warum es dann dieses Gesetz überhaupt gäbe oder das Gleichheitsgebot und das dieses anscheinend völlig egal sei, sind Themen, die sich in dieser Situation anbieten. Tipp für Rechtsstaattollfinder: Viele Schulen haben vergessen, in ihrer Hausordnung Essen und Trinken im Unterricht explizit zu verbieten und die Schulgesetze geben sich mit so einem Quatsch nicht ab, sondern fordern lediglich „unterrichtsförderndes“ Verhalten. Erste Möglichkeit: „Wir leben ja in einem Rechtsstaat, und da ist alles erlaubt, was nicht verboten ist. Also packe ich mein Frühstück sofort weg, wenn sie mir zeigen, wo steht, das Frühstücken verboten ist!“ Und wenn Leerkraft trotzdem drauf besteht: „Aha, dann ist das hier anscheinend ja gar kein Rechtstaat, sondern Diktatur. Oder wie sehen sie das? Blabla“ Zweite Möglichkeit: Aus`m Gesetz zitieren, und behaupten, dass dieser Text Frühstück definitiv erlaubt, ja sogar fordert, da mensch nur mit Frühstück in der Lage sei, sich unterrichtsfördernd einzubringen.

Repression einfordern
All diesen Gesprächsansätzen liegt zugrunde, dass sie Absurditäten thematisieren, die sonst auch vorhanden, aber wie selbstverständlich hingenommen werden. Und damit, das mensch diesen Herrschaftsquatsch thematisiert, läuft gleichzeitig die Repression ins Leere. Erst recht passiert dies, wenn mensch auch noch Repression einfordert: „Machen sie jetzt einen Strich? Wird davon der Unterricht besser? Bringt ihnen das Spaß?“ „Ist ihre Note-nicht meine! Die Note sagt nix über meine Fähigkeiten aus, aber sehr viel über Ihre.“ etc. Die Möglichkeiten in der Schule Herrschaft und Repression zu thematisieren, sind schier unendlich.

Unterdrückungsmaßnahmen thematisieren
Ein weitere spannender Ansatz ist die Thematisierung konkreter Unterdrückungsmaßnahmen. Zum Beispiel im Unterricht demonstrativ sein Frühstück auspacken, mit Serviette, Kaffeetasse, Besteck und darauf warten, dass die Leerkraft zu pöbeln anfängt. Dann fragen, warum es sinnvoll sei, nicht zu Essen, wenn mensch Hunger habe. „Dann können Sie sich nicht auf den Unterricht konzentrieren!“ „Mit Hunger bin ich aber noch weniger in der Lage, mich zu konzentrieren.“ „Aber wenn das Alle machen würden!“ „Dann könnten alle viel besser lernen! Zumal ich nicht sehe, das Frühstück den Unterricht behindert, sondern erst Ihr Ausrasten den Unterricht unterbrochen hat.“ Und dann lässt sich wunderbar einsteigen in generelle Herrschaftskritik, weil ja offensichtlich sei, dass das Essverbot dem Unterricht schade, und nur zur Disziplinierung diene.

Wenn gar nix hilft
Ich kam irgendwann in die Situation, dass ich mir fast alles rausnehmen konnte, ohne das spannende Gespräche begannen. Und auch die „Linken“ im Jahrgang wurden immer hohler und liefen einfach und bequem mit Dreads (aber ohne Hirn) durch die Schule, ohne noch irgendeine subversive Energie zu entwickeln. In solchen Fällen half dann Überidentifikation. Überidentifikation meint das Aufgreifen der gegnerischen Standpunkte, um sie zu überspitzen und so ad adsurdum zu führen. Z.B. haut ein Biolehrer ein sozialdarwinistisches Zitat raus, und anstatt ihn anzupöbeln, stimmt mensch ihm lautstark zu, überspitzt die menschenverachtende Aussage aber noch, in der Hoffnung, dass die anderen Schülis noch einen kleinen Funken Leben in sich tragen, und ihnen auffällt, wie scheiße das alles gerade ist. Außerdem ist die Hemmschwelle einen anderen Schüli verbal zu zerreißen geringer, als gegen den Leerkörper aufzubegehren.

Überindifikation
Das schönste Beispiel dafür war die Podiumsdiskussion in meiner Schule vor der Landtagswahl 2005. Da gab es zwei sehr schöne Stellen, obwohl alle anderen Linken sich im Vorfeld gegen das Rocken der Veranstaltung ausgesprochen hatten. Der erste Moment war gleich nach der Vorstellungsrunde der Politis. Der CDU-Heini hatte gerade für dreigliedriges Schulsystem gesprochen, als ihn ein Schüli unterstützte: Es könne ja auch nicht sein, das alle individuellen Schülis standardisiert auf eine Schule geschickt würden. Sie bräuchten doch alle individuelle Entfaltungsmöglichkeiten. Für alle individuellen Schulis einen individuellen Schultyp: Also genau drei. Und wie es den mit den „Nebeneinkünften“ der Politis stünde. Die Irritation war perfekt.

Die zweite tolle Stelle kam, als eine eher autoritäre Schülerin mehr Recht und Ordnung in der Schule forderte, und der nächste Redner ihre Forderung damit unterstrich, das es wirklich unmöglich sei, das einige Schulis sogar mit ungeputzten Schuhen zur Schule kämen.

Zu Risiken und Nebenwirkungen
Lehris sind unter ihrer Charaktermaske Menschen! Nie vergessen! Es geht nicht darum, einem Menschen seinen Beruf zur Hölle zur machen, sondern Herrschaft zu thematisieren. Bitte immer eine Grenze zwischen Menschen platt machen, und Herrschaftskritik ziehen. Und zu viele Schulis sind Radfahrer. Egoistische kleine fiese Radfahrer, die nach oben buckeln und nach unten treten. Nix tun sie lieber als auf schwache Menschen einzuprügeln (mobben). Dies zeigt sich leider auch an als gesellschaftlich „schwach“ konstruierten Lehris, die im Unterricht leider oft mit gnadenlosem Psychoterror plattgemacht werden. Das darf durch herrschaftskritisches Handeln nicht gestärkt werden. Vielmehr muss es immer Ziel sein, die Schwachen zu stützen, statt eine neue Gewaltsituation aufzumachen.

Technische Probleme
Die bisherigen Methoden sind langfristig leider relativ leicht zu neutralisieren. Meistens reicht ein simples „Teile und Herrsche“ um Subversion ihre Wirkung zu nehmen. In der Praxis haben rebellische Einzelkämpferinnen einen erhöhten Handlungsspielraum gegenüber ihren Mitschülis. Sie haben z.B. weniger Stress, wenn sie fehlen, brauchen Hausaufgaben nicht zumachen, können sich insgesamt mehr rausnehmen als ihre Mitschüler. Durch diese Privilegierung lassen sich viele ruhigstellen und etablieren. Gleichzeitig werden sie durch diese abgestufte Hierarchie zu Frustableitern für andere potentiell Unzufriedene: Schüler regen sich dann nicht mehr über das ganze beschissene System auf, sondern kritisieren lediglich (zu Recht) die Bevorzugung einiger Weniger. Wenn Widerstand auf diesem Niveau verharrt, trägt er langfristig doch zur Systemstabilisierung bei.

Solidarität als Gegenstrategie
Da Individualisierung, Ellenbogenmentalität und Ausgrenzung zum einen zentrale Lehrinhalte der Schule und zum anderen massive Probleme für Widerstand in der Schule aufwerfen, liegt es eigentlich nahe, dies zum zentralen Bezugspunkt zu machen. Subversiver Widerstand kann nur überdauern und erfolgreich sein, wenn es gelingt, Gegenmodelle zu entwickeln und aufzuzeigen. Zudem ist die Schaffung von kollektiven Strukturen in gesellschaftlichen Subräumen, die auf Vereinzelung als Mittel der Herrschaftssicherung zurückgreifen bereits ein Akt des Widerstands. So könnten eventuell offensiv beworbene Abschreibbörsen, Referatstauschaktionen, Klausurarchive, Nachhilfebörsen oder gemeinsames Lernen jenseits von Schule den Solidaritätsgedanken gegenüber dem „Ellenbogen“ in Position bringen. Hier sehe ich auch eine der wenigen konstruktiven Möglichkeiten von SV- Arbeit im bestehenden Schulsystem. Die Räume einer SV könnten als offene Räume genutzt werde, in denen Arbeits-oder Aktionsmaterialien allen zugänglich sind. Außerdem könnte hier die räumliche Struktur für die genannten Vorschläge etabliert werden (Sicherungskopien bei möglichst vielen Leuten nicht vergessen, um bei eventueller Sabotage schnell Abhilfe schaffen zu können).

Meines Wissens sind derartige Projekte noch nie strategisch versucht worden, und es ist zu erwarten, dass ein Gelingen auch zu schärferer Repression führen wird. In so einem Fall ist es dann wichtig, diesen Repressionsversuch ebenfalls offensiv mit Öffentlichkeitsarbeit, Aktionen und auch gerne mit Klagen, Gerichtsprozessen etc. zu begleiten, damit sich keine negativen Folgen ergeben. Zudem lässt sich der eventuell entstandene Erregungskorridor damit noch steigern.

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