Husuma

1. November 2005

Warum findet ihr Demokratie eigentlich so scheiße?


Demokratie bedeutet „Volksherrschaft“. Das heißt, Demokratie braucht immer den Bezug auf einen angeblichen organischen „Volkskörper“. Das geht nur mit Grenzen, Zwangszugehörigkeit und Zwangsausgrenzung von Menschen. Zudem gehört zur Demokratie der Glaube an gewählte Vertretis, die genau die Interessen der Mehrheit des „Volkes“ vertreten. Selbst wenn das so wäre, hätte dies nix mit einer befreiten Gesellschaft oder friedlich/freiheitlichem Zusammenleben zu tun, den die Interessen der Mehrheit müssen immer noch gegen die Anderen
durchgesetzt werden (notfalls mit Gewalt).

Theorie und Praxis
Außerdem sind viele Menschen gar nicht wahlberechtigt: Kinder, Migranten und Entmündigte dürfen nicht wählen, die Gesetze gelten aber trotzdem für alle. Zudem ist die Wahlbeteiligung nie 100%, sondern eher bei 30-80%. Würde mensch z.B. die auf Husums Bürgermeister entfallenen Stimmen mit der Einwohnerzahl vergleichen, so vertritt er definitiv nur einen Bruchteil der Menschen dieser Stadt. Und selbst wenn gewählte Interessensvertreter von der Mehrheit der
Menschen gewählt werden würden, dann müsste „das Volk“ sie per Gedankenübertragung steuern, damit die Parlamentarier die Interessen „des Volkes“ vertreten könnten. Das dem offensichtlich nicht so ist, sieht mensch daran, das die Mehrheit der Menschen in D-Land gegen Gentechnik ist, und es trotzdem Anbaugebiete mit Genpflanzen gibt. Außerdem ist die Mehrheit gegen Atomkraftwerke, und es gibt trotzdem welche.

Demokratische Prinzipien sind im Zweifeldfall egal
Und mal ehrlich, die wenigsten Menschen in D- Land haben Einfluss auf ihre Umgebung. Die wichtigen Entscheidungen werden nur von einer Hand voll Leute getroffen. Und all die „verbürgten Grundrechte“, die jedem angeblich zustehen, sind einerseits jederzeit einschränkbar, und anderseits ohne Geld kaum zu praktizieren (oder kannst du dir einen eigenen Fernsehsender oder eine Tageszeitung leisten? Hessen hat 100 Euro Demogebühr eingeführt).

Wahlen verhindern Selbstorganisation
Zudem verhindern Wahlen Selbstorganisation. Anstatt sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und sich selbst zu organisieren, macht der frustrierte deutsche Bürger sein Kreuz bei einer Protestpartei. Das ändert dann äh ungefähr gar nix. Aber unser deutscher Bürger ist für die nächsten vier Jahre ruhig, denn er hat „damit“ ja nix zu tun. Wahlen sublimieren also Protestpotiental. Auch ist der Gedanke, das „Auserwählte“ besser wissen, was gut für uns ist, nicht nachvollziehbar.

Aber sehr bequem. Denn wenn ein Gewählter sich um meine Angelegenheiten kümmert, brauche ich das nicht mehr selber tun und mich selbst organisieren. Wenn mich ein Lehrer scheiße behandelt, erwarte ich, das mein Klassensprechi mich rettet, anstatt das ich dem Kerl selber die Leviten lese. Wenn mein Boss scheiße ist, erwarte ich, das mein Betriebsrat hilft, anstatt das ich mit meinen Kollegen streike. Wenn meine Polit- AG übergangen wird, erwarte ich, das meine Sprecherin den Fall ins Plenum bringt, anstatt das ich direkt mit den „Übergehern“ rede. Die Beispiele zeigen deutlich, das Stellvertretungspolitik Selbstorganisation und horizontale Vernetzung behindert.

Links wählen versus Wahlboykott?
Jedoch sollte sich die politische Agenda nicht auf „links wählen“ vs. „Wahlboykott“ beschränken. Wahlen sind wunderbare Anlässe, um einerseits Herrschaft aufzudecken und zu kritisieren, und anderseits Utopien jenseits von Herrschaft, Stellvertretung und Nationsmythos zu diskutieren.

Keine Kommentare »

No comments yet.

RSS feed for comments on this post. TrackBack URL

Leave a comment