Husuma

1. September 2005

Setz die Herrschaftsbrille auf!


Nur ein kleiner Teil alternativer Projekte scheitert am Konflikt mit dem Staat. Die meisten scheitern an sich selbst. Das hat zwar viel mit der Zurichtung der Menschen zu tun, durch Mackerigkeit, Dominanzverhalten oder Unterwürfigkeit, der Hang zur Akzeptanz geltender Gesetze und Normen, sowie die Ängste vor der Übermacht von Repression, sozialem Umfeld oder dem blanken Kampf uns Materielle in jedes Projekt geschleppt wird. Allerdings fehlt auch ein kreativer Umgang mit Hierarchien in den meisten Projekten.

Das Plenum
Wenn alle Beteiligten zusam-mensitzen, und alle über alles entscheiden, sind angeblich alle gleichberechtigt. Wird zumindest angenommen. So organisieren sich dann durchaus auch unpolitische Gruppen (Schulfestkomitee, Abiversammlung, Zeitungsprojekt). Doch im Plenum herrscht alles andere als Gleichberechtigung. Plena fördern Eliten, Mackerigkeit und unsensibles Verhalten. Warum?

Herrschaft über die Köpfe
Die Einrichtung Plenum wird nicht hinterfragt. „Plenum“ steht bei vielen per Definition für Offenheit, Gleichberechtigung und für „alle entscheiden alles“. Da das in der Realität nicht so ist, scheint der Glaube an das Plenum fast religiös. Da alle glauben, sie seien gleichberechtigt, haben es Eliten im Plenum leicht, ihre Interessen durchzusetzen.


Dominanzförderung

Im Plenum gibt es immer einige wenige RednerInnen und viele ZuhörerInnen. Da aber eigentlich alle reden könnten und angeblich selber schuld sind, wenn sie es nicht tun, profitieren die selbstbewussten, dominanten, durchsetzungsfähigen Menschen vom Plenum. Das Reden in Großrunden behagt vielen nicht, zumal wenn durch Tagesordnungen und formale Ablaufsregeln eine unpersönliche gezwungene Atmosphäre geschaffen wird. Außerdem ist häufig zu beobachten, das Redebeiträge von Menschen, die gesellschaftlich als „stark“ (männlich, dominant, selbstbewusst) konstruiert sind, positiver aufgenommen werden, als Redebeiträge von Menschen, die als „schwach“ (Frauen, Kinder, Alte, Unstudierte, neu in der Gruppe) konstruiert sind. Zudem ist der unpersönliche Charakter eines Plenums ungeeignet, um eigene Ängste, Wünsche oder erlebte Diskriminierungen zu thematisieren. Daher bleiben Bevormundungen, intransparentes Verhalten und andere Dominanzvorgänge häufig unwidersprochen.

Elitenherrschaft

Das Plenum ist der ideale Ort für Eliten. Elite bezeichnet eine offene Dominanzgruppe ohne formale Vorrechte oder Ernennung (wie Vorstände usw.) aber mit besserem Zugang zu Ressourcen, Infos, Kontakten. Solche Netzwerke sind im Gegensatz zu Vorständen nach Außen kaum sichtbar, haben aber enormen Einfluss auf die laufenden Entscheidungen und Diskurse. Gerade große Runden, der Schein der Gleichberechtigung und formale Gleichheit ermöglichen subtile Formen von Herrschaft, die typisch für Eliten sind. Das wird sichtbar bei folgenden Fragen: „Wer entscheidet, was auf die Tagesordnung kommt?“ „Wer entscheidet, welche Infos an die Gruppe weitergegeben werden?“ „Wer spricht vor Treffen was ab?“ Wessen Beiträge beziehen sich ständig aufeinander?“ „Wer hat die Moderation eingesetzt?“ Bei genauerer Betrachtung mit der Herrschaftsbrille fällt auf, das Eliten-Zirkel Plena nach Belieben dominieren. Und gerade die Illusion von Selbstbestimmung und Gleichberechtigung macht hier Herrschaft möglich.

Zentralismus
„Alle entscheiden alles“, „Das muss das Plenum entscheiden!“ Solche Sprüche zeigen die zentralistische Dendenz von Plena. Wenn alles erst im Plenum besprochen werden muss, verhindert dies Vielfalt, Eigeninitiative und soziale Prozesse. In extrem bürokratischen Vorgängen geht es dann darum, ob eine Aktion gemacht werden soll oder nicht. Wenn ein Plenum zentrale Entscheidungsgewalt hat, dann entsteht eine Hierarchie zwischen Plenum und Aktiven. Das raubt Autonomie und Selbstbestimmung. Häufig dienen Plena auch der Kontrolle der Basis durch Eliten. „Das müssen wir erst im Plenum besprechen!“ „Wir müssen uns schon koordinieren!“ –Sprüche sind häufig Zeichen von Angst vor Kontrollverlust. Wo ein Plenum zentrale Entscheidungen trifft, reicht es aus, dieses zu dominieren, um viele Abläufe entscheidend zu prägen. Wenn es keine Zentrale gibt, sondern kleine Runden und Teilgruppen agieren, ist es deutlich schwerer Zusammenhänge zu dominieren, zu unterwandern oder staatlicherseits zu überwachen.

Vereinheitlichung
Plena verbinden Zentralismus mit Zwangskollektivität. Beides wirkt vereinheitlichend. Eine entscheidende Rolle spielt der „Konsensgedanke“. Dieser hat autoritäre Nebenwirkungen: Alle müssen alles entscheiden- autonome Entscheidungen kann es damit nicht geben. Zudem verengen Abstimmungs- und Konsensverfahren Debatten auf ein „Schwarz/weiß“- Schema (ja oder nein) oder auf Grautöne (Kompromisse). Dies führt insgesamt zu Vereinheitlichung und „Einheitsmeinung“, anstatt nach kreativen Lösungen zu suchen, wie mehrere Positionen umgesetzt werden können. Konsenszwang verhindert zudem Selbstbestimmung: Das Veto einer Person kann z.B. eine Aktion „verbieten“.

Religiöses Allheilmittel
Wo Projekte durchs Plenum müssen, alle alles anhören müssen, wird Eigendymanik und Spontanität abgewürgt. Der Grund dafür ist eine Zwangskollektivität, die Menschen Themen aufzwingt, die sie gar nicht interessieren. Einigungszwang und einengende Atmosphäre ersetzen direkte Kommunikation zwischen Menschen. Oft hört ist dies schon an der Sprache hörbar: „Es wäre wichtig das alle…“, „wollen wir jetzt“, „es müsste mal einer“, anstatt „Ich habe Lust auf das“, „ich mache jetzt dies“. Das Plenum am Abend soll alle Konflikte des Tages lösen (von denen viele durch direkte Kommunikation zwischen Menschen sofort zu lösen wären!) und ist damit heillos überfordert. Ein ganz anderer Ansatz ist nötig, bei dem es darum geht, direktes Kommunizieren und Handeln zu fördern und Zentralen und Vereinheitlichung überflüssig zu machen.

Möglichkeiten zur Hierarchie-Vermeidung
Es gibt keinen gesellschaftlichen Subraum, in den die beteiligten Individuen nicht über ihre Sozialisation die selben Problem wie außerhalb hineinschleppen. Das ist einerseits anstrengen, anderseits zweigt es aber auch: Die Hierrachien in emanzipatorischen Projekten liegen an den beteiligten Menschen. Das heißt umgekehrt aber auch, das es genau in der Hand der beteiligten Personen liegt, dies zu ändern.
Zugegeben, der Kampf gegen die (linke) Normalität ist nicht leicht, aber je eher er bekonnen wird, desto eher wird er gewonnen.

Transparenz
Oft sind Einladungen eher spärlich: Keine Unterlagen, keine Infos zum Stand der Dinge. Möglichkeiten zur Vorbereitung haben nur die Eliten. Deswegen kurz bekannt machen, wo es die Infos gibt, oder gleich mitliefern. Spätestens auf dem Treffen sollte dann bekannt gemacht werden, was Stand der Dinge ist, wer vorab mit wem was beschlossen hat, wo es weiterführende Infos gibt… Es ist nicht schlecht, wenn Einzelne besser vorbereitet sind als Andere, nur sollte dieses Wissen transparent gemacht werden. Funktionen, die Fähigkeiten erfordern, sollten möglichst rotieren, damit dieses Wissen weiter gegeben werden kann.

Autonomie schaffen
Teilaufgaben können von Kleingruppen autonom erledigt werden. Bewegung und Vernetzung entsteht durch das Nebeneinander vieler Kleingruppen. Transparenz kann durch Zeitungen, Mailinglisten. Infowände und Info-Plena entstehen. Diese sind ebenfalls zur Vernetzung wichtig. Jedoch muss auch Rücksicht auf die Aktionsmöglichkeiten anderer Gruppen genommen werden.

Gleichberechtigte Diskussionsverfahren
Diesem Gedanken stehen alle Delegationsverfahren (Räte, Vorstände, Sprecher) im Weg, denn dies schafft sofort Hierarchien. Auch ist es für gleichberechtigte Teilhabe wichtig, das nicht einE zuständig sind, sondern alle darauf achten, dass etwas funktioniert, und bei Problemen Abhilfe schaffen. Ebenfalls sollte direkte Kommunikation genutzt werden, und sich nicht auf irgendwelche InteressensvertreterInnen berufen werden.

Streit als Fortschritt begreifen
Streit gilt allgemein als „böse“. Deshalb wird Streit oft als Bedrohung für die Gruppe empfunden und verklärt. Das führt dazu, das Konflikte nicht ausgetragen werden und eine Art Zwangsgemeinschaft entsteht. Durch das Überbewerten von Einheit, Gemeinschaft und Konsens wird Anpassungsdruck erzeugt. Damit werden Kreativität und kritische Positionen verdrängt. Zudem stützt Harmonisierung Hierarchien, da sie nicht thematisiert werden können. Dabei führt nur Streit zu neuen Positionen. Streit sollte nicht als Problem, sondern als Problemlösungsmittel empfunden werden. Nur wenn Gedanken offensiv vorgebracht werden können, kann sich eine Gesellschaft wandeln. Außerdem: Warum soll nicht vieles nebeneinander möglich sein?

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