Vor dem Gesetz sind alle gleich? Pustekuchen. Einige Leute haben deutlich bessere Chancen, sich nie vor Gericht verantworten zu müssen als andere. Eine dieser Berufsgruppen ist die Polizei. Obwohl Körperverletzung bei einer Berufsgruppe, die um das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen, als staatlich bezahlte uniformierte Gewalt eine Lizenz zum Prügeln hat, quasi zum Alltag gehören müsste, wird kaum eine BeamtIn deswegen verurteilt. Wie das in der Praxis funktioniert, zeigt ein Beispiel aus der „Polizei-Doku Schleswig“…
Stockschlag auf Kopfhöhe
4.2.2011. Anlässlich eines Gerichtsprozesses mischen die Polizei und die“ Mobile Einsatzgruppe Justiz“ das zur Unterstützung der angeklagten Antimilitaristin ordentlich auf. In einer Dienstaufsichtsbeschwerde vom 4.2.2013, nach deren Eingang Absender ein Beleidigungsverfahren ( https://husuma.nirgendwo.info/2013/02/18/die-sache-mit-der-dienstaufsichtsbeschwerde/ ) angehängt bekam, der wird folgendes Polizeiverhalten beschrieben: „ (…) knapp ein dutzend Polizeibeamten stürmten aus dem Gebäude. Sie attackierten sofort schubsend die Personen und riefen „Platzverweis“. Besonders der Beamte Paulsen tat sich dabei hervor. Er schlug mit dem Schlagstock einmal auf Kopfhöhe zu, traf jedoch lediglich die Hand und ein Kameraobjektiv einer gerade fotografierenden Person. Paulsen setzte jedoch nach und schlug erneut mit dem Schlagstock gegen den Rücken zu. Die Kamera wurde beschädigt.“
Die Version der Polizei
Interessant ist nun der weitere Verlauf. Einmal abgesehen davon, dass der Staatsschutz sofort ein Beleidigungsverfahren gegen den Beschwerdeführer einleitet, wird der prügelnde Polizist überhaupt nicht vernommen. Statt dessen schreibt sein Chef Micheal Trede einen Bericht. Dieser Bericht ist ein sehr gutes Beispiel dafür, mit welchen Tricks und Unterstellungen Cops regelmäßig versuchen, die Gegenseite zu delegitimieren und als unglaubwürdig darzustellen. Darüber hinaus zeigt die Nähe zur Beschwerde, wie diese als Vorlage genutzt wird, um die eigenen Wahrheit glaubwürdiger zu gestalten. Dies ist immer ein nicht zu unterschätzendes Risiko bei Dienstaufsichtsbeschwerden. Auf der einen Seite riskiert man, wie hier uach geschehen, die Gegenanzeige, und außerdem muss man bei Anzeigen und Beschwerden immer eine Begründung, die regelmäßig Angaben zum Ablauf enthält, machen. Dies spielt der Gegenseite in die Hände, da sie wie hier die andere Matrix einfach zur Stärkung ihrer eigenen Konstruktion nutzen können. (Nicht wundern: Mit den bisherigen Teilen der“ Polizeidoku Schleswig“ vertraute LeserInnen werden die hier verwendeten Aktenschnippsel schon bekannt vorkommen. Allerdings sind diese von solcher Brisanz, dass sie einer genaueren Betrachtung verdienen). Bericht von PHK Michael Trede
Was, wenn das Konzept „Rechtsstaat“ ernst gemeint wäre?
Wie müsste es jetzt weiter gehen, wenn das mit Rechtsstaat und der Gewaltenteilung im demokratischem Regime nicht nur eine gigantische Propaganda-Lüge wäre? Doch nehmen wir mal die Matrix der Justiz ein. Per Definition ist jetzt die Realität egal, und Leute ohne Uniform und Schusswaffe sind per se unglaubwürdig. Wir schauen nur auf die Romanerzählung des Herrn Michael Trede und versuchen eine juristische Bewertung. Nehmen wir an, es hätte einen rechtskonformen Platzverweis gegeben. Und nun schildert Trede, dass die Betroffenen den Platzverweis nicht nachkommen, und deshalb schlägt Paulsen dem Betroffenen in den Rücken. Gemerkt? Die Person soll das Gelände verlassen, und zeigt Paulsen den Rücken, und dann schlägt Paulsen zu. Der Platzverweis wird bereits verfolgt, als Paulsen zuschlägt. Sonst würde die Person nicht mit dem Rücken zu Pausen stehen… Der Gewalteinsatz ist also nicht verhältnismäßig, da die Person den Anweisungen der Beamten entgegen Tredes Behauptung schon Folge leistet. Geschenkt. Kleinigkeiten. Passiert eben, wenn man Leuten Uniformen anzieht, ihnen erlaubt, Menschen zu schlagen und Schlagstöcke in die Hand drückt.
Selbstorganisierte Beweissicherung
Weiter im Text… Nach diesem Verhalten wird nun von einer anderen Person POM Paulsen treffend mit der Bezeichnung „Schläger“ bezeichnet. Eine Person dreht sich um, um ein Foto des Schlägers zu machen. Das ist weder verboten noch illegal und die Cops hatten sich diesbezüglich auch bereits bei der Staatsanwaltschaft informiert, wie ein Vermerkt ihres Einsatzleiters Lohmeyers zeigt:
Wie wichtig die Legalität des Erstellens von Polizeifotos ist, zeigt die Statistik und die Erfahrung, das man bei Polizeigewalt die Beweissicherung der Cops regelmäßig vergessen kann. Deshalb ist es notwendig, eigene Beweise zu erheben, indem man z.B. die staatlich bezahlten uniformierter GewalttäterInnen zur späteren Identifikation fotografiert. Laut Tredes Märchenerzählung ist das auch dem Schläger Paulsen klar und genau deshalb schlägt er auf Kopfhöhe zu. Zum eine pure Willkür, zum anderen ein Verstoß gegen Dienstvorschriften (keine „Mehrzweckeinsatzstockschläge“ gegen den Kopf), der Versuch der Beweismittelvernichtung und gefährliche Körperverletzung im Amt. Darüber hinaus müssten nun eigentlich Ermittlungen eigentlich gegen alle beteiligten Beamten einleiten. Denn der §340 StGB (Körperverletzung im Amt) regelt, das sich auch nicht-prügelnde, aber teilnehmende und „geschehen lassende“ BeamtInnen strafbar machen. Mindestens für Michael Trede gilt dies, da er laut seinem Vermerk die Prügelattacke seines Untergebenen völlig in Ordnung findet.
Staatsanwaltschaftliche Wahrheitsdefinition
Aber jetzt zur „echten“ juristischen Bewertung. Staatsanwalt Truknus schreibt: „ Soweit der Beamte Paulsen den Schlagstock eingesetzt hat, geschah dies zur Durchsetzung des Platzverweises, sodass zur hinsichtlich einer etwaigen Körperverletzung ein Rechtfertigungsgrund bestand“. Tja, so einfach ist da. Aus zwei Schläge, deren Motivation durch den Beamten angegeben werden (Platzverweis und Verhinderung der Bildaufnahme) wird einer…
Nachhilfebedarf beim Staatsanwalt?
Und um Sicherzugehen, hat Staatsanwalt Truknus noch eine Idee: „Das der (Name des Beschwerdeführers) Strafanzeige gegen den Polizeibeamten Paulsen und andere Personen erstatten will, ist seinem als Dienstaufsichtsbeschwerde bezeichnetem Schreiben vom 7.2.2011 nicht zu entnehmen. Ansonsten wäre zu erwarten gewesen, dass der behörden-und justizerfahrene (Name des Beschwerdeführers) sein Schreiben ausdrücklich als Strafanzeige bezeichnet hätte.“ Leider ist Körperverletzung im Amt ein sog. „Offizialdelikt“. Das bedeutet, dass Staatsanwalt Truknus eigentlich verpflichtet ist, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, wenn er Kenntnis vom Verdacht (!) einer Straftat hat. Die Frage, ob der Beschwerdeführer Anzeige oder Dienstaufschichtsbeschwerde stellen möchte, wäre nur bei einem sog. Anzeigedelikt von Relevanz. Aber das ignoriert Truknus. Ob aus mangelnder Sachkenntnis oder ob aus Absicht geht leider nicht aus seinem Vermerk hervor.
Kein Einzellfall
Leider ist Staatsanwalt Truknus kein Einzelfall. Auch sein Flensburger Amtskollege Berns ist bereits mit sonderbaren Entscheidungen aufgefallen. Nachdem im Jahr 2002 SEK-Beamte aussagtren, dass sie beobachtet hätten, wie der Wachhabende der Westerländer Polizeistation (Nordfriesland) und ein untergebener zwei Verdächtige zur Aussageerpressung gefoltert hätten, stellte Berns das Verfahren ohne die Aussagen der SEK-Beamten zu bezweifeln ein. Es sei das erste Mal, das die Folter-Beamten auffällig würden, und außerdem treffe diese nur eine geringe Schuld.
Mehr Infos dazu: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-22955259.html
Prozesse gegen Betroffenen von Polizeigewalt
Wer die hier beschriebenen Herren mal live sehen möchte, hat dazu am 4.4. und am 17.4. am Amtsgericht Schleswig Gelegenheit. Um jeweils 9h beginnen die Aburteilung von ProzessbesucherInnen, die Betroffene von Polizeigewalt wurden. Und um dies zu legitimieren, wird den Betroffenenen n u angehängt, sie hätten sich gegen die BeamtInnen zur Wehr gesetzt. Mehr Infos zum Verfahren: https://husuma.nirgendwo.info/2012/02/20/antimil-gleisblockade-polizei-sl-tritt-nach/
Weitere Folgen der Polizeidoku Schleswig
Wer sich genauer dafür interessiert, findet weitere Infos in den bisher erschienen Folgen der Dokumentation zu Polizeigewalt in Schleswig:
Teil 1: “Gilt die Pressefreiheit auch in Schleswig?”
Gilt die Pressefreiheit auch in Schleswig? (Polizei-Doku Teil 1)
Teil 2: “Die Sache mit der Dienstaufsichtsbeschwerde”
Die Sache mit der Dienstaufsichtsbeschwerde (Polizei-Doku 2)
Teil 3: „Üben PolizistInnen Gewalt aus?“
Teil 4: Polizeigewalt im gesellschaftlichem Diskurs: https://husuma.nirgendwo.info/2013/02/25/polizei-doku-teil-4-polizeigewalt-als-selbstverstandlichkeit-im-diskurs/
Teil 5: Die Notwendigkeit von uniformierten staatlich bezahlten GewalttäterInnen im demokratischen Regime: https://husuma.nirgendwo.info/2013/02/28/die-notwendigkeit-von-gewalt-im-demokratischen-regime-polizei-doku-sl-5/
Teil 6: Ein Hausverbot, dass es nie gab?