Auf den ersten Blick ist klar, wer das sagen hat…Die höchsten Türme Sarajevos fest in der Hand von HVB und Merkur.
Sarajevo Altstadt: Die Cafes sind voll junger Menschen, das Logo der HypoVereins-Bank an den „Twin Towers“ des ehemaligen Olympia-Mediencenters überragt die Stadt, in Kleidungs-und Souvenirläden wimmelt es von Kunden. Mitten zwischen den noblen Fassaden der Banken aus Glas und Beton steht die ausgebrannte Ruine des „Europa“ Hotels. Zwischen den Tischen der Cafés laufen bettelnde Roma-Kinder, die von aufgebrachten Kellnern vertrieben werden, zwischen der katholischen Kathedrale und den Türmen der serbisch-orthodoxen Kirche erheben sich die Minarette (1) einer neugebauten Moschee.
Wohlstand nur für Wenige heisst Armut für Viele
Doch der Anblick Sarajevos täuscht. Von Wohlstand sind die meisten Bosnier noch weit entfernt. Das Bruttosozialprodukt der Bevölkerung ist äußerst niedrig. Der Stadt/Land-Gegensatz ist enorm. In den Zentren wie Tuzla, Mostar oder Sarajevo überdeckt der Reichtum Weniger die Armut Vieler. Einer kleinen Schicht Wohlhabender ist es gelungen, sich während des Krieges zu bereichern oder nach dem Krieg bei der Privatisierung des ehemals kommunistischen Eigentum groß abzusahnen. Auch zwischen der organisierten Kriminalität, Politikern und Wirtschaftslenkern gibt es lukrative Verbindungen. Auf den Dörfern hingegen tritt der Mangel offen zu Tage. Zerstörte oder nur halbfertige Häuser, kaum Arbeitsplätze (90% Jugendarbeitslosigkeit in ländlichen Gegenden), Kleinfeldwirtschaft, mangelndes Kulturangebot und fehlende Nahversorgungszentren prägen das Bild. Die „Supermärkte“ sind der Hammer: Ein Raum, etwa fünf mal fünf Meter, eine Theke, ein halbvolles Regal dahinter, fertig.
Freihandel bedeutet wirtschaftliche Sabotage
Das Hauptproblem der bosnischen Wirtschaft ist der Mangel an Industrie. Als es noch Jugoslawien gab, war in Bosnien aus strategischen Gründen die Rüstungsindustrie fokussiert. Heute fehlt die Jugoslawische Armee als Abnehmer (1989 immerhin die fünftgrößte Europas), und der Krieg tat sein übriges. Noch heute sind viele Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Ackerbau wird mit alten Maschinen und teilweise noch mit Pferd und Hacke betrieben, was teilweise allerdings durch die extremen Hanglage der Äcker bedingt ist. Viele Menschen arbeiten auch im Dienstleistungssektor, doch schätzt das OHR (Office of High Representative, die UNO-Verwaltung), dass 17% der Kaufkraft durch die Internationalen Organisationen ins Land kommen. Auch ist der Handel durch die größtenteils fehlende verarbeitende Industrie gezwungen, auf ausländische Produkte zurückzugreifen, so dass nur wenig Geld im Land bleibt.
Korruption
Von Sarajevo lenken wir unsere Aufmerksamkeit nach Mostar, der zwischen Bosniaken und Kroaten geteilten Stadt im Süden des Landes. Das mediterrane Klima ist hier schon deutlich zu bemerken. Die Cafes in der Altstadt sind gut gefüllt, die Imane rufen zum Abendgebet im bosniakischen Teil der Stadt und ich treffe mich mit Adnan. Ad-nan ist guter Laune, redet viel, doch als wir auf seine Zukunft zu sprechen kommen, wird sein Blick traurig: „Ich habe mich bei einer Maschinenfabrik im kroatischen Teil beworben, doch ich habe da keine Chance. Ich bin weder Katholik, noch bin ich dort mit jemanden verwandt.“ Vetternwirtschaft ist eher die Regel als die Ausnahme. Man spricht scherzhaft von „Familienbetrieben“, da viele Personalchefs eher nach Familienzugehörigkeit und Ethnie entscheiden, als nach Qualifikationen. Nach den Verwaltungsvorschriften der UN darf kein UN-Mitarbeiter aus Bosnien Verwandte ersten, zweiten oder dritten Grades einstellen.
Abhängigkeit durch Kredite
Bei Kriegsende 1995 war kaum noch Kapital im Land. Dies und die rigide durchgesetzte Freihandelspolitik der internationalen Staatengemeinschaft in Bosnien hat dazu geführt, dass in Bosnien lediglich ausländische Banken angesiedelt sind. Einen Großteil des Kreditgeschäftes teilen sich HypoVereinsBank, Raiffeisen, Volksbanken, Banka Hverska (Kroatien) und Tyrkish National Bank. Die Kredite werden hauptsächlich für privaten Konsum ausgegeben. Die Konsumgüter stammen größtenteils von Produzenten aus den Heimatländern der kreditgebenden Banken. So fließen die Kredite letztendlich wieder in die Bilan-zen der Banken, da durch die globale Vernetzung der heutigen Wirtschaft jede Bank irgendwie irgendwo Teilhaber der Produzenten der Konsumgüter ist.
Ausbeutung durch Abhängigkeit
Das einzige, was in Bosnien bleibt, ist die Abhängigkeit vom westlichen Unternehmen. Bosnien führt zur Zeit Waren im Wert von 1225,0 Mio. Euro ein, aber nur 87,3 Mio. aus. Für den Fall, dass sich doch jemand traut, ein Unternehmen im Produktionsbereich zu gründen, so muss sein Produkt wegen der Freihandelspolitik sofort mit z. B. deutschen Produkten konkurrieren. So kommt es, dass es neun Jahre nach Kriegsende immer noch kaum Industrie in Bosnien gibt. Wegen der Freihandelspolitik scheint es so, als sei dies durchaus im Interesse der internationalen Staatengemeinschaft, dass Bosnien für immer ein zusätzlicher 5 Millionen Menschen umfassender Absatzmarkt bleibt. Geht man durch die Straßen, so findet man hier die Autos, die bei uns nicht mehr verkäuflich sind. Ein neuer PC kostet im Geschäft etwa 1000 Euro, doch die modernsten PCs sind auf dem technischen Stand von vor zwei Jahren. Deutsche Produkte machen den Hauptanteil am Warensortiment aus, die Landeswährung heißt „Konvertible Mark“, wird im Kurs 1:1 zur „alten“ D- Mark gehandelt, und wurde genau wie die Briefmarken in der Bundesdruckerei produziert, die Telekom betreibt das Telefonnetz in Bosnien, deutsche Banken prägen das Straßenbild und die Finanzwirtschaft, deutsche SFOR-Soldaten gehen Streife in Sarajevo (3)). Ein Schelm, wer böses dabei denkt.
Der Wideraufbau geht langsam voran.
UN-Protektorat oder postmoderne EU-Kolonie?
Bosnien sieht aus wie eine Kolonie, und betrachtet man die Wertschöpfungskette, dann ist Bosnien eine Kolonie. Rohstoffe werden exportiert, minderwertige Konsumgüter eingeführt. Der Mehrwert der Produktion verschwindet fast komplett im Ausland. Neun Jahre regiert das OHR schon im Auftrag der internationalen Staatengemeinschaft, und ich kann mir nicht vorstellen, das deren Wirtschaftsexperten der Mangel an verarbeitender Industrie noch nicht aufgefallen ist. So sieht es auch Darko, ein in der Kriegsdienstverweigerungsbewegung engagierter Jugendlicher aus Sarajevo: „Das OHR und die SFOR haben sehr viel zur Beendigung der Kämpfe und für Sicherheit getan. Doch damit es Bosnien-Herzegowina besser geht, muss die Wirtschaft selbstständig werden. Und langsam glaube ich, dass wollen die gar nicht.“
(1) laut Duden kann man Minarett im Plural mit “e“ oder „s“ schreiben
(2) Office if the High Representative, internationale „Regierung“, die in Bosnien-Herzegowina das Sagen hat, und das Friedensabkommen von Dayton(1995) durchsetzen soll. www.ohr.int
(3) SFOR= Stabilisation Force, int. Schutztruppe mit UN- Mandat, noch unter Kommando der USA, bald unter EU- Kommando. Die Bundeswehr stellt das zweitgrößte Kontingent nach den USA.