„Immer mehr Gewalt gegen Polizist_Innen!“ dröhnt es seit Anfang Februar durch viele Medien, einschließlich der Zeitungen des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages (sh:z). Hintergrund dieser Meldungen ist eine Pressekampagne der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). So sei laut der DPolG im letzten Jahr die Anzahl der wegen „Widerstand“ eingeleitetenVerfahren um 7,8% gestigen. Werde der Zeitraum von 1999 bis 2008 bundesweit betrachtet, so sei die Anzahl der „Widerstandsverfahren“ sogar um 20% angestiegen.
Unklare Zahlengrundlage
„ Respektlosigkeit und zunehmender Autoritätsverlust gegenüber Polizisten, die als Synonym für den Staat stehen, dürfen nicht länger tatenlos hingenommen werden!“ kommentiert diese Zahlen der Stellvertretende Bundesvorsitzende der DPolG Joachim Lenders. Wie die von vielen Medien kritiklos abgedruckten Zahlen zustande kommen, ist jedoch unklar, denn die DPolG suggeriert als Quelle lediglich die Deutsche Polizeistatistik. Diese gibt jedoch nur einen Überblick über eingeleitete Verfahren, nicht jedoch über das Ergebnis der anschließenden juristischen Aufarbeitung. Aber dafür weiß Rainer Went, Bundesvorsitzender, genau, woran die angeblich steigende Gewaltbereitschaft gegenüber Polizist_Innen liege: „Die Polizei muss immer mehr als Prügelknabe für allgemeinen gesellschaftlichen Frust und Zorn über die Politik herhalten.“
Die Wohlstandsschere öffnet sich
Jenseits der Frage, was mensch von der sofort erhobenen Forderung nach härteren Strafen hält, liegt Herr Went mit dieser Analyse genau richtig: 1999 ist das Jahr, in dem die SPD die Anhänger_Innen Keynes in ihren Reihen auf das Abstellgleis schiebt, und zusammen mit den Grünen beginnt, die Agenda 2010 umzusetzen. Diese neoliberale Politik hat dazu geführt, dass sich in der Zeit der rot-grünen Koalition der Vermögensanteil der reichsten 10% der Bevölkerung auf 44% am Gesamtvermögen erhöht hat, während der Anteil der unteren 50% von 4,4% auf 4,0% zurück ging. In den letzten 10 Jahren, in denen sich laut DPolG die Anzahl der Widerstandverfahren um 20% erhöhte, hat sich auch die Wohlstandschere bedenklich geöffnet.
Mit Gewalt gegen Armut?
Dieser Zusammenhang überrascht nicht, denn für ein friedliches politisches Klima in einem Land ist soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft unerlässlich. Die Forderung der DPolG nach härteren Strafen statt nach mehr sozialer Gerechtigkeit zeigt außerdem, wie deutlich die DPolG sich als Beschützer_In der Politik versteht: Anstatt nach Lösungen zu suchen, wie ein friedlicheres gesellschaftliches Klima im Land entstehen kann, von dem auch Polizit_Innen profitieren, spricht sich die DPolG de facto für mehr Gewalt gegen die Angehörigen des Prekariats aus.
Gewalttäter sollen Gewalt verhindern?
Des weiteren stellt sich die Frage, wie sehr die Polizei überhaupt zum Abbau von Gewalt in Gesellschaft in der Lage ist. So ist die Polizei in ihrer Rolle im demokratischen Staat ein Teil der Exekutive, der dazu da ist, Entscheidungen der Regierungen im Zweifelsfall auch mit Gewalt gegen die davon Betroffenen durchzusetzen, und so den Gesetzen Geltung zu verschaffen. Dafür ist die Polizei trainiert und ausgebildet. Mit der Forderungen nach einem härteren Durchgreifen wird also nicht der per se Abbau von Gewalt gefordert. Ganz im Gegenteil: Wahlweise Polizei und Justiz sollen mehr Gewalt aufwenden, um ein gesellschaftliches Problem in den Griff zu bekommen, das, wenn überhaupt, nur politisch gelöst werden kann.
DPolG offen verfassungsfeindlich?
Doch die Forderungen der DPolG gehen noch weiter. Im Zusammenhang mit den Atommülltransporten ins Wendland im November 2008 sagte der Vorsitzende Wendt: „„Der Staat hat sich von den Atomkraftgegnern peinlich vorführen lassen…Wer sich auf Bahngleise setzt, muss danach für die Dauer des Atomtransports in Gewahrsam sitzen.“ Jenseits der Frage, was Herrn Wendt dazu bringt, es peinlich zu finden, wenn Polizist_Innen mitansehen müssen, wie Anwohner_Innen ihren Protest gegen die Atompolitik eines Landes zum Ausdruck bringen, lohnt es sich, das Zitat genauer zu betrachten. Gewahrsam ist eine legale Freiheitsberaubung nach Polizeirecht, die es der Polizei erlaubt, Menschen präventiv, also z.B. vor der Sitzblockade einzusperren. Für legale Freiheitsberaubungen nach einer Straftat bedarf es eines Vorwandes nach Strafprozessordnung. In dieser Matrix handelt die Polizei aber nicht mehr nach eigenem Ermessen, sondern als Hilfstruppe der Justiz. Wenn Herr Wendt fordert, Polizist_Innen sollten Gewahrsam nach einem Tatbestand anwenden, so fordert er diese entweder zu illegalem Handeln auf, oder will sogar als Teil der Exekutive (Prävention) in diesem Fall auch noch die Rolle der Judikative (Bestrafen) übernehmen. Des Weiteren regeln die Polizeigesetze ausdrücklich, das Gewahrsam keinen Strafcharakter haben darf. Dass ein hoher Polizeifunktionär derartige Statements ohne Widerspruch an die Öffentlichkeit geben kann, sollte zu denken geben.
Immer mehr Polizeigewalt?
Auf den zweiten Blick fällt noch etwas ins Auge. Der Tatvorwurf, an dem die DPolG ihre Kampagne hauptsächlich aufhängt, ist der des „Widerstandes“. Dies ist deshalb interessant, weil u.a von Amnesty International angeführt wird, dass Menschen, die Opfer eines gewalttätigen Übergriffs durch Polizeibeamte werden, häufig noch zusätzlich wegen „Widerstands“ angeklagt werden. Die DPolG wischt diese Kritik einfach mit der Behauptung beiseite, Amnesty habe schlecht recherchiert, würde den Opfern kritiklos glauben, und außerdem seien es nur einige zumeist widerlegte Vorwürfe, mit denen der gesamte Berufsstand verunglimpft werde. Amnesty International hält dem entgegen, dass gerade vor Gericht Polizeizeugen kritiklos geglaubt werde und es so für die Polizist_Innen ein sehr praktischer und häufig genutzter Weg sei, Fehlverhalten zu tarnen. An Beispielen aus der Region mangelt es nicht:
Wie Folter-Berns zu seinem Namen kam…
2002 wurden auf der Wache in Westerland auf Sylt zwei Polen mit den Vorwurf des Raubüberfalls festgenommen. Laut den Dienstberichten eines zur Verhaftung herbeigeholten SEKs trat und misshandelte der Dienstgruppenleiter der Wache einen der beiden Verdächtigen während eines Verhörs. Der Flensburger Staatsanwalt Joachim Berns stellte das Verfahren wegen geringer Schuld ein (Quelle: Spiegel 26/2002).
Husumer Polizie sprengt Gartenparty
2006 berichteten linke Jugendliche aus Husum, dass sie grundlos auf einer Gartenparty von ca. 25 Polizist_Innen brutal überfallen wurden, um anschließend die als politisch aktiv bekannten Jugendlichen zur Wache zu bringen und „Widerstands“-Verfahren eingeleitet wurden. Die Betroffenen berichteten, dass aus den Gesprächen der Polizist_Innen auf der Wache hervorging, dass diese bereits vor dem Einsatz wussten, wer „Widerstand leisten würde“. Dabei sei sogar der Name einer Person gefallen, die nicht auf der Party war, dafür aber als Herausgeber einer linken Schüler_Innenzeitung kritisch über Polizei berichtete. Drei der Verfahren wurden eingestellt, zwei führen zu Verurteilung in Tateinheit mit Körperverletzung. Kristin Stielow, Beteiligte und Belastungszeugin sagte der Süddeutschen Zeitung in einen Interview, dass sie noch nie so heimtückisch angegriffen worden sei. Das zeigt, wie deutlich die Sichtweisen auf den Abend auseinander gehen (Quelle: Süddeutsche, 1.8.2007).
Flensburg: Widerstand statt Beweise
In Flensburg ereignete sich am 28.12.08 ein ähnlicher Vorfall. Unter dem Vorwand der Ruhestörung verschaffen sich Polizist_Innen Gewaltsam Zugang zu einem alternativen Projekthaus, verhaften und verprügeln Anwesende, die mit dem Vorwurf des Widerstandes konfrontiert werden. Für Helge, einen der Betroffenen ist klar: „Wir wurden für die Freiräume-Demo am Vortag abgestraft!“ Die Flensburger Polizei wollte sich zu dem laufenden Verfahren nicht äußern. Das Flensburger Amtsgericht stellte die Verfahren mitlerweile ein, weil die Zeugenaussage des Einsatzleiters an Peinlichkeit kaum zu überbieten war.
Bad Oldesloe: Staatsschutz ermittelt
Auch in Bad Oldesloe gibt es einen ähnlichen Fall. Am 5.12.2008 nahm Andreas an einer nächtlichen Solidaritätsdemo für Menschen, die beim „Containern“ (Entwenden von genießbaren Lebensmitteln aus dem Supermarktmüll) teil. Die Demo wurde vor der Oldesloer Polizeiwache gewaltsam aufgelöst.. Wegen Randale sagt die Polizei. Grundlos sagt Andreas. Zudem sei auf dem Heimweg plötzlich ein Streifenwagen neben ihm angehalten, die Polizit_Innen hätten sich auf ihn geworfen, und nach einer Identitätsfeststellung gehen lassen. „Am nächsten morgen fiel ich bei Zeitung lesen aus allen Wolken. Dort stand: „Ein 24 Jähriger wurde wegen Widerstand und Körperverletzung festgenommen“. Damit musste ich gemeint sein.“ Die Oldesloer Polizei behauptet, Andreas habe zusammen mit weiteren Person randaliert, und versucht einen Polizisten zu schlagen. Gegen den kurz später eintreffenden Strafbefehl hat Andreas Widerstand eingelegt. „In der Nacht waren auch Staatsschützer in der Wache. Ich bin sicher, die haben sich den Vorwurf ausgedacht, um mich für mein politisches Engagement bestrafen zu können.“ Nach drei offensiv geführten Prozessen werden die Verfahren eingestellt (Quelle: Indymedia).
Zweifelslos für eine Politik der sozialen Ungerechtigkeit zu mehr Gewalt in einer Gesellschaft. Und warum Sollte dieser Trend vor den Angehörigen der Polizei halt machen?
[…] Außerdem empfehlenswert: Ein Hintergrundartikel zur „Gewalt“-Kampagne der Polizeigewerkschaften […]
Pingback by Zu den Prozessen in Schleswig | Krieg? Nirgendwo! — 8. März 2013 @ 13:14