Husuma

7. Januar 2011

Arbeitsstunden für den vielleicht letzten Totalverweigerer

Am 7. Januar 2011, fand der Strafprozess gegen den Totalverweigerer Frank R. wegen „Dienstflucht“ statt. Ergebnis: Einstellung des Verfahrens mit der Auflage, innerhalb der nächsten sechs Monate 80 Arbeitsstunden bei der Friedenswerkstatt Kiel zu leisten – eine Arbeit, die Frankie sowieso gern und freiwillig in seiner Freizeit leistet.

Frankie ist einer von vielen jungen Männern in Deutschland, die Post vom Kreiswehrersatzamt bekommen haben und leider kriegsverwendungstauglich gemustert worden sind. Militärdienst kam und kommt für ihn aber nicht in Frage, also hat er wie viele andere den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigert und ist staatlich als Kriegsdienstverweigerer anerkannt worden. Während und nach dem Anerkennungsverfahren hat er jedoch erkannt, dass der Zivildienst keine akzeptable Alternative zum Militärdienst ist. Deshalb ist er an seinem Einberufungstermin nicht bei seiner Dienststelle angetreten. Daraufhin folgten ein Ermittlungsverfahren wegen „Dienstflucht“ und der heutige Prozesstermin.

Einlasskontrolle
Das Geschehen begann mit einer peniblen Einlasskontrolle mit Metalldetektor. Auf diese Weise wurde ein Prozessbesucher mehr als fünf Minuten lang von einem Toilettengang abgehalten – mit der Begründung, die Einlasskontrolle gelte für alle (außer natürlich für „Mitarbeiter“) und er sei selbst schuld, er hätte ja schließlich früher kommen können.

Prozessauftakt
Der Prozess begann pünktlich um 9 Uhr, jedoch ohne das übliche Aufstehritual. Es waren etwa vierzig Zuschauer_innen anwesend, die Zuschauerbänke waren voll. Der Richter sprach sehr leise, sodass er teilweise nicht zu verstehen war. Wiederholte Bitten aus dem Publikum, lauter zu sprechen, ignorierte er. Als die Anklageschrift verlesen wurde, gab es Beifall für den angeklagten Totalverweigerer. Gleich zu Beginn stellte die Verteidigungsanwältin Gabriele Heinecke den Antrag, das Verfahren einzustellen, weil die in diesem Jahr ausgesetzte Wehrpflicht „anachronistisch“ und eine Verurteilung überflüssig und sinnlos sei – ohne Erfolg. Bei dem Disput mit Heinecke hatte der Richter „§47 StGB“ [Kurze Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen, Anm.] erwähnt. Daraufhin bat ein Zuschauer den Richter, im Klartext zu sprechen statt in Paragraphennummern. Er unterstellte, dass nicht jede_r im Publikum (sich selbst eingeschlossen) wisse, was z.B. mit „§47“ gemeint sei. Er fühle sich als Teil der Öffentlichkeit durch diese Geheimsprache faktisch von der Verhandlung ausgeschlossen. Das war dem Richter aber egal, der Zuschauer „könne sich ja informieren“ und solle aufhören, die Verhandlung zu „torpedieren“.

Frankies Erklärung
Frankie erklärte, dass es außer der staatlich anerkannten persönlichen Gewissensentscheidung, nicht mit einer Waffe zu töten, noch viele andere Gründe gibt, die gegen den Wehrdienst, sowohl den Militärdienst als auch den waffenlosen Zivildienst, und andere Zwangsdienste sprechen. Als Beispiele führte er u.a. die anachronistische zivil-militärische Zusammenarbeit im Sinne des gesetzlich verankerten Gesamtverteidigungskonzeptes an und die Ausbeutung von Zivildienstleistenden als unterbezahltes „Humankapital“. Die einzige vertretbare Alternative zum Militärdienst ist die Totalverweigerung. Daher hat er sich am Einberufungstermin statt dessen „mit seinen Freunden getroffen“ und statt zur Vorladung zur Polizei zu gehen, Kontakt mit einer Anwältin aufgenommen.
Soziales Handeln ist nur auf Basis von Freiwilligkeit möglich, nicht auf Basis von staatlichem Zwang und dem Prinzip von Befehl und Gehorsam (im Zivildienstsprech „Anordnung“ und „Befolgung“). Deshalb engagiert sich Frankie u.a. in einer Volxküche, hat bereits mehrere Demos, Informations- und Diskussionsveranstaltungen gegen Militäreinsätze, Nato und Atomkraft mitorganisiert. Einem Obdachlosen, der bei ihm gegenüber an einem Hausvorsprung „wohnt“, gibt er Decken und Heißgetränke. Es geht nicht klar, dass Menschen, die kein Kapital haben, Nahrung und Unterkunft verwehrt wird!

Einstellung des Verfahrens
Anschließend stritt sich die robentragende Parallelgesellschaft wieder über die Frage „a oder nicht a“. Heinecke forderte eine Einstellung des Verfahrens ohne Auflagen („§153 StPO“), die Staatsanwältin hingegen war nur zu einer Einstellung mit Auflagen („§153a StPO“) bereit.
Nach einer Verhandlungspause zwecks Absprache zwischen Angeklagtem und Anwältin machte die Anwältin das Angebot, das Verfahren mit der Auflage, dass Frankie 80 Arbeitsstunden bei der als gemeinnützig anerkannten Friedenswerkstatt Kiel e.V. leistet, einzustellen. Die Staatsanwältin und der Richter waren einverstanden und der Richter verkündete dies als Beschluss. Amen.

Kritik
Aus dem Publikum gab es Kritik an dem Verhalten der Anwältin. Auch wenn es sich bei den Friedensarbeitsstunden nur um eine Alibi-Strafe handelt, habe sie quasi die Arbeit der Staatsanwaltschaft getan. Sie hätte wenigstens mit der Staatsanwältin um die Anzahl der Arbeitsstunden feilschen sollen. Quelle: https://de.indymedia.org, 7.1.2011

Weiterer Prozess gegen KriegsgegnerIn in SH
Bereits am 4. Februar steht erneut eine Kriegsgegnerin vor Gericht. Das OLG Schleswig verhandelt an diesem Zag ab 11 Uhr ein Schadensersatzforderung der Bahn über 14.000 Euro. Im Februar 2008 hatte eine Gruppe Antimilitaristen anlässlich eines Militärtransportes der Bundeswehr für die Nato-Response-Force in der Nähe von Husum für die Abschaffung der Bundeswehr. Um ihren Protest zu verdeutlichen, hatte sich eine aktivistin an die Schienen gekettet. Nun fordert die Bahn einen Schadensersatz von 14.000 Euro, obwohl die Polizei die versammlung nie auflöste, und damit kein Zwang zum Entfernen für die TeilnehmerInnen bestand.

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