Am Amtsgericht Husum wurde Anfang Juni erneut gegen eine Antimilitaristin verhandelt, die mit einer Ankett-Aktion anlässlich eines Militärtransportes der Bundeswehr für die Nato-Response-Force ihren Protest verdeutlichte. Die Weiterfahrt der Militärs verzögerte sich damals um mehrere Stunden. Ein erster Versuch, die Betroffene im Dezember 2009 wegen Nötigung und Störung öffentlicher Betriebe scheiterte spektakulär an Befangenheitsanträgen. Parallel zum zweiten Verhandlungsversuch machten außerdem lokale Friedensaktivist_Innen den Protest und die Ablehnung gegen die Auslandseinsätze der deutschen Militärs auch in Husum mit einer 12-tägigen Dauer-Demo vor dem Kasernentor sichtbar.
Februar 2008: Die Husumer Militärs stehen kurz davor, erneut Teil der „Nato Response Force“ zu sein. Was die meisten in der Armee wissen, aber selten reflektieren: Sie werden Teil einer weltweit einsetzbaren Angriffsarmee der Nato sein, zu deren Aufgaben u.a. „die Offenhaltung des Zuganges zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“ gehört. Innerhalb einer Woche sollen dann auch die Husumer Truppen bereit sein, für die politischen Interessen der Eliten im demokratischen Regime ihren Kopf hinzuhalten. Doch vorher geht es zum Nato-Manöver.
Gute Miene zum bösen Spiel
Normalerweise bleibt alles ruhig. Die Soldat_Innen machen gute Miene zum bösen Spiel, die Offiziere feiern am Ende alles trotz der ständigen Pannen als Erfolg und beim Truppenbesuch lässt sich auch die Stadtvertreterin Engken schon mal begeistert mit dem MG fotografieren. Und die Regionalzeitung „Husumer Nachrichten“ aus dem Schleswig-Holsteinischen-Zeitungsverlag sorgt für die notwendige technizistisch-folkloristische Begleitmusik zur Legitimation des Ganzen. Genauso schlampig wie immer geht deshalb auch der Transport von Raketen von Statten. Es ist Sonntag früh, der 12.2.2008. Ein Zug, laut Polizeiakte beladen mit Raketen, verlässt das Depot in Ohrstedt. In der ersten Fassung des Polizeiberichtes der Nacht schreibt ein Bundespolizist, wie er mit dem Rangierleiter gesprochen habe, und dieser beschreibe, wie sie auf dem Weg vom Depot zur ca. 3 km entfernten Weiche während der Fahrt einen Knall an den Gleisen vernommen hätten, Fackeln am Gleisbett überfahren hätten, und Lichtsignale ignorierten, weil sie es für einen „Schabernack“ hielten. Der ganz normale Wahnsinn, wenn die deutschen Militärs mit hochgefährlichem Zeug durch die Gegend tuckern? Viele Wehrpflichtige können ein Lied davon singen, unzählige Videos auf You-Tube zeigen die Unfallträchtigkeit der Bundeswehr.
„Heute keine Weiterfahrt!“
Dann erreicht der Zug die Weiche zum Hauptgleis. Hier muss der Zug halten.. Am Gleis, auf dem das Kriegsgerät transportiert wird, ist seit 10 Jahren nichts investiert worden. Beide Weichenteile müssen von Hand durch den Lokführer verschoben werden. Die Uhren in der nordfriesischen Provinz gehen anders. Der Lokführer springt vom Zug. Eine Stimme ertönt: „Halt! Sie können nicht weiterfahren. Da ist eine Person im Gleisbett angekettet. Dies ist eine Protestaktion gegen die Kriegsbeteiligungen der Bundeswehr. Bitte lassen Sie unverzüglich die Strecke sperren!“
Angeklagt wegen „Nötigung“ „Störung öffentlicher Betriebe“
Erst vier Stunden später ist es der Polizei gelungen, die Person zu entfernen. Die Feuerwehr zersägte auf Befehl der Polizei und nach Anraten der DB-Netz die Gleise. Doch nicht dies ist verboten, sondern der Protest gegen staatliche Gewalttäter_Innen in Uniform. Mittlerweile ist der 1. Dezember 2009, und Hanna, die sich damals an die Gleise kettete, steht wegen „Nötigung“ und „Störung öffentlicher Betriebe“ vor Gericht. Kein Wort mehr darüber, dass sie einen Militärtransport blockierte, um gegen die Kriegsbeteiligungen der Bundeswehr zu protestieren. Es zeigt sich hier, wie über das Strafrecht die Behandlung gesellschaftlicher Probleme entpolitisiert und individualisiert wird.
„Guten Tag, wir sind vom Mars!“
Doch bevor die Verhandlung beginnen kann, „beamt“ sich ein Fernsehteam vom Mars-TV genau vor den Tisch des Staatsanwaltes. „Guten Tag. Wir sind ein Fernsehteam vom Mars. Wir senden gerade live vom Planeten Erde!“ Zum Staatsanwalt gewandt: „Können Sie uns sagen, warum da draußen haufenweise uniformierte Gewalttäter_Innen rumlaufen, die wie in Kunduz jede Menge Leute umlegen, während Sie hier versuchen, eine Person, die dagegen protestierte, zu bestrafen?“ Doch wie soll Staatsanwalt Berns darauf antworten? Berns ist vor allem aufgrund eines Verfahrens aus dem Jahr 2004 bekannt. Damals hatten uniformierte Gewalttäter der nordfriesischen Polizei auf dem Boden liegende Verdächtigte in einem Verhör mit den Füßen getreten, und waren von Kollegen aus Eutin wegen Folter angezeigt worden. Berns stellte das Strafverfahren wegen „geringer Schuld“ gegen eine Spende ein, da die folternden Polizisten nicht vorbestraft seien. Hannas Anwalt hatte dem Gericht ebenfalls angeboten, dass Verfahren gegen eine Geldspende ebenfalls wegen geringer Schuld einzustellen, da seine Mandantin nicht vorbestraft sei, und außerdem das ganze doch gar keine richtige Straftat sei, sondern eher eine demonstrative Aktion. In der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft wird sich gegen diesen Vorschlag ausgesprochen, da die Aktion angeblich ein hohes Maas an krimineller Energie offenbare.
Sexistische Macker-Sprüche vor Gericht
Doch auch nach Eröffnung der Verhandlung wird es nicht besser: Ein Protokollant sagt zur Angeklagten: „Im Fernsehen sehen sie aber besser aus!“ Doch statt sich zu positionieren, laviert Richter Veckenstedt um die Entscheidung des daraufhin gestellten Befangenheitsantrag, und tauscht den Protokollanten einfach aus. Doch es wird noch besser. Nach der Mittagspause sind mit Schusswaffen ausgerüstete Polizisten im Saal, weil Richter Veckenstedt sich durch Luftschlangen und Konfetti bedroht fühlt. Der Anwalt der Verteidigung weist auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hin, und dass die Pistolen übertrieben seien. Richter Veckenstedt ist durch Konfetti jedoch so verunsichert, dass es diesen Antrag ablehnt. Daraufhin kündigt der Anwalt an, nicht weiter zu verhandeln, wenn die Knarren im Raum bleiben. „Bitte-Sie können ja gehen!“ Richter Veckenstedt zeigt nun, dass es ihm völlig egal ist, ob die Betroffene angemessen verteidigt wird, oder nicht. Der hierauf gestellte Befangenheitsantrag bringt den Prozess zum Platzen.
Der Zivilprozess- freie Bahn für Waffen-und Militärtransporte
Die DB Netz AG versucht derweil, die Ankett-Aktivistin zu Schadenersatzzahlungen zu zwingen. Sie habe die Reparaturkosten am Gleis zu bezahlen, die durch die Räumung entstanden seien. Ungeachtet der Tatsache, dass die Polizei die Durchtrennung der Schiene auf Anregung der DB-Netz angeordnet und Feuerwehr und THW sie durchgeführt haben und ungeachtet auch des die Aktion schützenden Versamlungsrechts folgt Richter Biermann am Landgericht in Flensburg im März 2010 der Argumentation der Bahn und verurteilt Hanna. Begleitet wurden auch diese Gerichtstermine von zahlreichen kreativen Aktionen- so feierte beispielsweise ein „Freundeskreis Bundeswehrbahn“ die Verurteilung mit Sekt und lud Passant_innen ein, sich ebenfalls für das Militär und gegen Frieden zu positionieren. Gegen das Urteil wurden Rechtsmittel eingelegt und so wird es vor dem Oberlandgericht in Schleswig zu einer weiterer Verhandlung kommen.
Fortsetzung des Strafverfahrens mit (Verun-)Sicherheitskontrollen
Ende Mai sollte es nun weitergehen. Und Richter Veckenstedt hatte aufgerüstet. Es wurden insgesamt gleich drei Verhandlungstage anberaumt. Um nicht wieder zitternd und einsam Konfetti und Luftschlangen ausgeliefert zu sein, wurde eine Verfügung erlassen, dass es Einlasskontrollen geben solle, um zu verhindern, dass „gefährliche“ Gegenstände wie z.B. Konfett und Luftballons ins Gericht geschmuggelt würden. Die sogenannte Mobile Einsatzgruppe Justiz (MEG), also Sondereinheiten von speziell geschulten Justizangestellten, wurde geordert, das Amtsgericht in Husum zu bewachen. Schikanöse Einlasskontrollen konnten jedoch nicht verhindern, dass am ersten Verhandlungstag Aufkleber auf den Gerichtswänden auftauchten. Immer wider ließ der Richter ihm unliebsames Publikum aus dem Saal werfen- dabei kam es sogar zu Verletzungen, die der Richter aber nur mit den Worten „Langweilen Sie mich nicht“ kommentierte. Die fotografische Dokumentation der Gewalttaten des MEG wurde durch die eng mit den Justizangestellten kooperierende Polizei auch außerhalb der Gerichtsgebäudes unterbunden, Kameras wurden beschlagnahmt und die Suche nach einer Speicherkarte endete sogar darin, dass sich zwei Personen komplett ausziehen mussten.
Friedenscamp und antimilitaristische Radtour
Doch auch der Widerstand schläft nicht: Zum ersten Mal seit langem wurden in Husum die Militärs direkt mit Protest aus der Bevölkerung konfrontiert. Vom 24. Mai bis zum 4. Juni protestierten Friedensaktivist_innen vor der Fliegerhorstkaserne in Husum mit einer Dauer-Demo gegen die als „Auslandseinsätze“ bezeichneten Kriege der deutschen Militärs. „Selbst in einer Militärstadt wie Husum sinkt die Zustimmungen zu den Kriegen mit der Bundeswehr in aller Welt“. sagte Jan Hansen, ein Aktivist aus Husum. Gerade dadurch, dass viele Menschen Angehörige bei den Militärs hätten, bekämen viele Menschen durch Erzählungen mit, dass es unmöglich sei, so wie die Bundeswehr es zur Zeit versucht, mit Waffengewalt Frieden zu schaffen. „Dadurch begreifen viele Menschen, dass an einer zivilen Sicherheitspolitik, die auch versucht, alle Regionen der Welt gleichberechtigt am Wohlstand zu beteiligen, kein Weg vorbei geht.“ 12 Tage lang zelteten Aktivist_innen vor dem Hauptor der Fliegerhorstkaserne. Die aufgestellten Banner, die Kreidespüche auf der Einfahrt und Fahnen prägten die Ansicht der Kaserne in ungewöhnlicher Weiße. Das Camp wurde innerhalb weniger Tage zum Stadtgespräch in der nordfriesischen Kleinstadt und erfuhr erfreulich viel solidarische Unterstützung. Ein weiteres Protest-Happening fand am Samstag, den 29.5. in Husum statt. Mit einer Fahrradtour fuhren Aktivist_innen die Militärstandorte der Stadt an, um vor Ort die Teilnehmenden über die internationalen Machenschaften der Militärs hinter dem Zaun zu informieren.
Die Verurteilung war von Anfang an sicher
Und der Prozess? „Keine Chance.“ sagte sie Angeklagte bereits im Vorfeld. „Die Justiz im demokratischem Regime ist unter anderem dazu da, den Staat und seine bezahlten uniformierten Gewalttäter _Innen vor Kritik zu schützen.“ Die Annahme bestätigte sich: Richter Veckenstedt zeigte keinerlei Interesse, der Argumentation der Verteidigung zu folgen und ließ sämtliche politischen Anträge einfach über sich ergehen und lehnte beispielsweise die Vorladung Horst Köhlers ab, der als Zeuge hätte bestätigen können, dass es sich bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr um Wirtschaftskriege handelt. Nach drei Verhandlungstagen folgte Veckenstedt mit seiner Entscheidung der hohen Forderung der Staatsanwaltschaft und verurteilte die Angeklagte zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen. Auch gegen dieses Urteil legte die Betroffene Rechtsmittel ein, weshalb es zu weiteren Verhandlungen kommen wird.Außerdem verfolgt die Husumer Justiz noch drei weitere Personen mit Verfahren wegen angeblicher Beihilfe. „Auch hier ist nicht mit Gnade zu rechnen!“ sagte Jan Hansen von der örtlichen Initiative „militarismus-jetzt-stoppen“. Die Betroffenen hätten bereits Strafbefehle erhalten und dagegen ebenfalls Einspruch eingelegt, sodass mit Verhandlungen jederzeit zu rechnen sei. „Wir werden auch diese Anlässe wieder für offensive Öffentlichkeitsarbeit zur Abschaffung der Bundeswehr und anderer Herrschaftsstrukturen nutzen!“
Wir freuen uns über Spenden zur Deckung der Anwalts- und Gerichtskosten an:
Spendenkonto:
Kontonr. 111 026 274
Blz: 217 500 00
Betreff: Gleisblockade Ohrstedt
[…] in Nordfriesland stattgefunden, deshalb habe niemand dazu kommen können (Link zum Prozessbericht: https://husuma.nirgendwo.info/2010/06/03/nf-gleisblockaden-aktivistin-ver… ). Diese Interpretation ist selbst dem Landgericht zu blöd. Hier ist der Richter dafür der […]
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[…] Der Protest habe Nachts in Nordfriesland stattgefunden, deshalb habe niemand dazu kommen können (Link zum Prozessbericht: https://husuma.nirgendwo.info/2010/06/03/nf-gleisblockaden-aktivistin-verurt… ). Diese Interpretation ist selbst dem Landgericht zu blöd. Hier ist der Richter dafür der […]
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