Am Kriegsministerium in der Berliner Staufenbergstraße 18 kam es heute zu einer kleinen Protestaktion gegen die Bundeswehr. Auf mitgebrachten Bannern forderten AktivistInnen die Abschaffung der Bundeswehr und „Freiheit für Finn“.
Finn ist ein Wehrpflichtiger, der zum 1.1.2010 eingezogen wurde, und mittlerweile den Kriegsdienst verweigert, aber immer noch in der Kaserne festgehalten wird, weil sein Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer noch nicht zu Ende bearbeitet ist.
„Freiheit für Finn“
Berlin im Winter. Grau in grau. Nur wenige Menschen auf der Straße. Sogar in Berlin Mitte südlich des Tiergartens ist wenig los. Vielleicht entgehen den Videokameras überwachenden Feldjäger_Innen am Verteidigungsministerium deshalb die kleinen Farbflecken vor der grauen Fassade des deutschen Kriegsministeriums in der Staufenbergstraße. Zwei Aktivist_Innen entrollen gerade vor dem Hauptportal zwei Banner. Sie fordern „Freiheit für Finn“ und „Bundeswehr abschaffen“.
Zweifel am Wehrdienst
Finn wurde zum 4.1.2010 zum Wehrdienst im 7.Bataillon Elektronische Kampfführung in die Clausewitz-Kaserne in Nienburg einberufen. „Ich bin zur Bundeswehr gegangen, weil ich wissen wollte, was an den Gerüchten dran ist“, kommentiert Finn seine damalige Entscheidung. „Ich dachte: Das sind doch auch nur Menschen. Das kann doch nicht so schlimm sein.“ Mittlerweile sieht Finn das anders: „Erst hier beim Bund sieht man Waffen in Wirklichkeit. Das ist ganz anders als im Fernsehen. Erst hier habe ich verstanden, dass diese Dinger nur zum Töten da sind!“ Aus diesen Zweifeln heraus hat sich Finn entschieden, den Wehrdienst zu verweigern, und am Montag, den 11.1.2010 seinen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer abgegeben.
Schikanen
„Die Abgabe des Antrages auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer hat zuerst keinerlei direkte Wirkung auf Finns Vorgesetzte gehabt“, sagte Jan Hansen, einer von Finns Unterstützer_Innen und aktiv in der Husumer Initiative militarismus-jetzt-stoppen.de.vu . Diese hätten ihn weiter mit für Finn unzumutbaren Befehlen unter Druck gesetzt. „Hauptstreitthema mit seinen Vorgesetzten sind Finns lange rote Dreads“. Auch nach Einreichen des Antrages sei weiter von Finn verlangt worden, diese zu entfernen. „Dabei wurde ihn unterschwellig wahlweise mit Arrest oder sogar der Einleitung eines Strafverfahrens gedroht“.
Der Umschwung
Erst Donnerstag habe es einen Umschwung in Finns Behandlung gegeben. „Ich denke, die dafür Verantwortlichen bei der Bundeswehr sind auf unsere Öffentlichkeitsarbeit aufmerksam geworden“ sagte Hansen. Seit Donnerstag sei Finn nicht mehr bedroht oder unter Druck gesetzt worden. „Zwar wurde gegen Finn ein zehntägiges Ausgehverbot verhängt, aber das Thema „Haareschneiden“ scheint erst einmal vom Tisch zu sein“ erklärt Hansen. Finn werde seitdem einfach mit langweiligen, aber tragbaren Arbeiten belegt, während die anderen mit der Waffenausbildung begonnen hätten. „Wir hoffen, dass die Situation sich nicht weiter verschärft, bis Finns KDV-Antrag bearbeitet ist!“ Hansen und seine Mitstreiter_Innen würden weiterhin sehr genau hinschauen, was in der Kaserne in Nienburg passiere.
Finn unterstützen
Um Finn zu unterstützen und um den Verantwortlichen bei der Bundeswehr zu zeigen, dass es zu dem Thema eine kritische Öffentlichkeit gibt, ist es wichtig, Finn z.B. durch das Schreiben von aufmunternden Briefen zu unterstützen:
Finn XXXXX
Clausewitz-Kaserne
7. Btl. Elektronische Kampfführung 912
Am Rehhagen 10
31573 Nienburg/Weser
Protestschreiben
Aus dem Grau der winterlichen Straßenzüge löst sich eine weitere Person. Diese geht direkt zum Haupttor an der Auffahrt zum sog. „Verteidigungsministerium“. Das elektronische Gitter ist noch unverschlossen. Erst am Wachhaus ist Schluss:
„Guten Tag. Können wir Ihnen helfen?“
„Ich möchte zum Minister.“
„Haben Sie einen Termin?“
„Ich hab einen Brief für ihn.“ (Brief wird an die Scheibe geklatscht).
(Link zum Brief…)
„Da sind sie hier falsch. Den können Sie hier nicht abgeben.“
„Und wie soll der denn dann zum Minister kommen? Kann ich ihn doch persönlich abgeben?“
„Schicken Sie den mit der Post.“
„Gibt es hier keinen Briefkasten, wo ich den reintun kann?“
(Verständnisloser Blick auf der anderen Scheibenseite).
„Immerhin ist das hier die offizielle Postanschrift des Ministeriums.“
„Moment.“ (Telefonhörer abnehmen, Telefonat, ein Militärpolizist setzt das Barett auf und kramt nach Schlüsseln, steht auf, geht zur Tür).
„Sie können den Brief mir geben. Der wird dann weitergeleitet.“
Die Aktion bleibt schlussendlich so grau wie der Berliner Winter: Nach einigen Minuten mit kalten Händen rollen die Aktivist_Innen ihre Banner wieder ein und verlassen den Ort unbehelligt ohne Personalienkontrolle.
PS: Das „Ehrenmal“ für abgeknallte, gesprengte oder im Krieg verunglückte Bundeswehrsoldaten ist wegen der Witterungsverhältnisse bis auf weiteres geschlossen. Das Schampus-Saufen am Tag Y um 17:30 muss also draußen stattfinden.
https://de.indymedia.org/2009/12/269004.shtml
PPS: Noch härter springt der Staat mit Leuten um, die aus einer herrschaftskritischen Perspektive sowohl den direkten Kriegsdienst in der Armee als auch den als Zivildienst getarnten indirekten Kriegsdienst ablehnen. Den Totalverweigerern Hannes aus Schwäbisch-Hall (Prozess am 4. Februar um 14:00 Uhr am Amtsgericht Schwäbisch Hall https://herrschaftsfrei.blogsport.de )und Fabian ( Prozess am 9.2.2010, 11:15 Uhr, Amtsgericht Lübeck, Am Burgfeld 7, Saal 263 https://de.indymedia.org/2010/01/271213.shtml )drohen gerade mehrmonatige Haftstrafen.
PPPS: Auch in Husum wird es im Frühjahr wieder zur Sache gehen, denn der Prozess am Amtsgericht Husum gegen antimilitaristische Aktivist_Innen, die im Februar 2008 mit einer Aktionen einen Zug der Bundeswehr für die NATO-Response-Force um mehrere Stunden verzögerten, ist bisher nur vertagt, nicht eingestellt.