Husuma

24. Oktober 2009

Kommentar zum Nazi-Überfall


Der Nazi-Überfall zeigt: Trotz miserabler Wahlergebnisse und interner Streiterein hat Husum ein massives NAzi-Problem. Doch leider fehlt es an einer geeigneten Antwort.

Die Bundestagswahl machte eigentlich Hoffnung. Trotz ungewöhnlich starkem Wahlkampf wurde die Bundestagswahl für die NPD zu einem Debakel. Die rechtsextremistische Partei um Arne Kähne und (damals noch) Kevin Stein erreichte in Nordfriesland nur 0,9 Prozent der abgegebenen Stimmen. Und wie erwartet kehrt in den Kommentaren und Berichten Ruhe ein. Sind die Nazis nicht in den Parlamenten, scheinen sie niemanden zu stören.Wie gefährlich dieser Trugschluss ist, zeigten die Vorfälle auf der Neustadt in Husum am Samstag, den 19.10.2009. Was für die Husumer Nachrichten nur „Streitigkeiten zweier politisch motivierter Gruppen“ sind, stellt in Wahrheit eine in Husum bisher unbekannte Qualität an faschistischer Gewalt dar. Beim Verlassen eines Lokals wurde zunächst ein 27-Jähriger mit einer Schreckschusspistole bedroht und anschließend mit dieser sowie mit Pfefferspray attackiert. Als weitere Besucher dem Verletzten zu Hilfe kommen wollten, wurden diese ebenfalls mit Schreckschusswaffen bedroht,welche sich erst nach dem Abfeuern als solche erkennen ließen. Ein Augenzeuge beschrieb die Eindeutigkeit des Vorfalls: „Die Rechtsradikalen trugen teilweise T-Shirts mit aufgemalten Hakenkreuzen und gaben sich somit eindeutig zu erkennen“.

Obwohl es auch in den vergangenen Jahren gewalttätige Überfälle auf Antifaschist_Innen und Migrant_Innen in Nordfriesland gab, und auch der ehemalige NPD-Bezirksvorsitzende Kevin Stein mit Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung von sich reden machte, stellt dass aktuelle Gewaltniveau ein neues Level dar. Dies ist umso beunruhigender, da dies kein Einzelfall im Norden zu sein scheint. Erst wenige Tage vorher hatte das LKA Schlewig-Holstein bei einer Razzia bei Neonazis in Tönning und Niebüll neben Gewehren und Pistolen auch automatische Waffen sicher gestellt. Die Ermittlungen gegen Neonazis aus Lörrach (Baden-Würthemberg), die im Verdacht stehen, einen Brandanschlag auf die KTS in Freiburg (autonomes Jugendzentrum) verübt zu haben, rückten auch eine Soldaten aus Eckernförde ins Licht der Öffentlichkeit. Dieser Soldat einer Marine-Spezialeinheit,die u.a. vor Somalia gegen Piraten kämpft, hatte gute Kontakte zu den Verhafteten Neonazis in Lörrach. Dies ist umso bedrohlicher, wenn mensch betrachtet, dass es in verschiedenen Städten Schleswig Holsteins in letzter Zeit zu massiven Gewaltausbrüchen kam. So wurde im Juni 2009 ein Brandanschlag auf die T-Stube in Rendsburg verübt, und in Kiel kam es seit April zu mehreren Übergriffen auf Personen und zu Anschlägen auf linke Projekte.

Damit das gesellschaftliche Klima in Husum nicht gibt, und Nazigewalt alltäglich wird, ist eine offensive Politik notwendig. Es muss zu einen darum gehen, den Nazis den öffentlichen Raum zu nehmen, und anderseits ist es wichtig, eine Politik zu machen, die die autoritären und rassistischen Inhalte der faschistischen Politik entlarvt, und emanzipatorischen Inhalte in den Diskurs bringt.

Gesellschaftliche Handlungsperspektiven für emanzipatorischen Antifaschismus
Das erste Ziel kann erreicht werden durch einen offensiven mutigen Umgang mit dem Nazi-Problem. Durch öffentlichkeitswirksame Aktionen (Demos, Flugblätter, Innenstadtaktion) muss den Neonazis die gesellschaftliche Betriebserlaubnis entzogen werden. Es muss ihnen und anderen klar sein, dass sie und ihre Thesen in öffentlichem Leben nicht erwünscht sind.

Die andere Problematik wirkt schwerer. Denn oft wird in der Debatte um die Neonazis etwas übersehen. Obwohl sich der Zuspruch zu Nazi-Parteien bei Wahlen in Grenzen hält, ist ihre Politik sehr erfolgreich. Ganz nebenbei sind viele Bestandteile ihrer Forderungen in die Politik der CDU, der SPD, der FDP und der Grünen eingeflossen. So verabschiedete die Rot-Grüne Bundesregierung Überwachungsgesetze, die den Weg in eine Überwachungsstaat ebnen könnten. Und auch Politiker der Linken wie Lafontaine schließen sich den Forderungen der NPD nach Folter an, wenn es gegen Kinderschänder geht. In Husum verabschiedete 2007 die Stadtverordnetenversammlung mit den Stimmen der Grünen, der SPD und der CDU eine Innenstadtverordnung, die Randgruppen aus der Innenstadt vertreiben soll.

Außerdem dürften die Nazis ihrer helle Freude an den Husumer Bundeswehreinheiten haben: Mit Helm, Gewehr und Fackel posieren diese als Manifestation eines auf Befehl und Gehorsam basierenden Führerprinzip in alter militaristischer Tradition auf dem Marktplatz. Und es bleibt nicht nur bei Sympolik: Als sich zwei Jugendliche bundeswehrkritische Aufkleber auf die Kleidung klebten, wurden sie von Feldjägern vertrieben. Die Repression gegen Antimilitarist_Innen hat Tradition in Husum: 2006 verhaftete anlässlich eines Auftritts des Bundeswehrbigband die Husumer Polizei drei FriedensaktivistInnen bei einem friedlichen Starßentheater, und der damalige Kreisvorsitzende der SPD, Ralf Hessmann entfernte einend er Beteiligten noch am nächsten Tag aus seinem Beruf als Jugendbetreuer. Um das Maß vollzumachen, sei noch die Abschiebebehörde des Kreises Nordfriesland erwähnt, die in den letzten Jahren immer wieder mit ihren skrupellosen Abschiebeversuchen in Krisengebiete auffiel. Ein Beispiel ist die Abschiebung in den Kongo der Familie Makitu im Jahre 2006, welche durch öffentlichen Druck verhindert wurde.

NPD-Politik ohne NPD?
Man sieht sehr deutlich: Es braucht überhaupt keine NPD, um eine autoritäre Politikwende durchzusetzen. Im bestehenden demokratischen Regime schlägt das gesellschaftliche Pendel immer weiter nach rechts aus. Deshalb darf sich ein Engagement gegen Nazis auch nicht nur auf platte „Gegen Nazis“-Parolen reduzieren, sondern muss offensiv versuchen, emanzipatorische Inhalte in den Diskurs zu rücken. Dass dies in Husum in den letzten Jahren größtenteils fehlte, ist auch ein Grund für die Zuspitzung der Verhältnisse, der nicht unter den Teppich gekehrt werden darf. Es muss endlich eine Antwort gefunden werden,d ie jenseits von Stellvertretungspolitik versucht, die Handlungsfähigkeit aller in der Gesellschaft zu erhöhen. Dazu gehört auch die Durchsetzung eines gleichberechtigten Zuganges aller zu allen gesellschaftlichen Ressourcen, auch gegen die Interessen der Eliten. Doch dazu ist auch eine selbstkritische Reflektion der bisherigen Organisierungspraxis notwendig.

Es bleibt zu hoffen, dass die am Samstag, den 21.11. 09 um 13:00 auf dem Husumer Marktplatz geplante Demo gegen Nazis ein Erfolg wird. Allerdings entsteht die Stärke sozialer Bewegungen auch durch ihre Vernetztheit, und durch den Grad ihrer Fähigkeit, komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge zu analysieren und thematisieren zu können, um Zusammenhänge zwischen den einzelnen Problemfeldern im Kapitalismus herstellen zu können. Inwie weit dies gelingt, ist auch für die Mobilisierung für den am 1.12.09 am Amtsgericht Husum stattfindenen Prozess gegen einen Antimilitaristin, der vorgeworfen wird, einen Militärtransport blockiert zu haben, von Bedeutung ( https://de.indymedia.org/2009/10/264433.shtml)

Links:
Herrschaftskritische Aktionen
https://husuma.punk-am-ring.de/index.php?aktion=thema_anzeigen&print=&menue_id=121

Quellen:

Husumer Nachrichten:
https://www.shz.de/lokales/husumer-nachrichten/artikeldetails/browse/1/article/805/ein-schuss-wueste-hauereien-und-ein-gestaendiger-graffiti-sprayer.html

Waffenfunde:
https://dokmz.wordpress.com/2009/10/15/neonazi-waffenhandler-fliegen-auf/

Eckernförde
https://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57638

Stein:
www.antifa-husum.de.vu

Rendsburg:
https://de.indymedia.org/2009/06/253046.shtml

Kiel:
https://de.indymedia.org/2008/04/214338.shtml

Lafontaines Folter-Forderung:
https://www.wsws.org/de/2004/mai2004/lafo-m25.shtml

Innenstadtverordnung:
https://husuma.punk-am-ring.de/index.php?aktion=thema_anzeigen&print=&menue_id=113

Entfernung aus dem Beruf durch Bürgermeister und Propagandaoffizier:
https://husuma.punk-am-ring.de/index.php?aktion=eintrag_anzeigen&print=&menue_id=37&eintrag_id=117

Merkwürdige Politik der Abschiebebehörde:
https://www.makitu.de.vu

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