Marketeasing-Werbung total anders- Bernd Rötlingshöfer
Erich Schmidt Verlag ISBN 3-50-09052-5
“Ganz ehrlich: Die klassische Werbung tot.” Diese Erkenntnis setzt das Buch voraus. Marketing-Experte Rötlingshöfer sagt es sehr offen und deutlich: “Werbung nervt.” Werbung vergraule Menschen. Werbung schaffe keine Kunden. An verschiedenen Beispielen erläutert Rötlingshöfer dieses Phänomen. Sei es an der sog “Bannerblindness” im Internet, am “Wegzappen” beim Fernsehen oder an Erlebnissen aus seinem Alltag. So beschreibt er die heile Welt einer Marketingabteilung, in der er arbeitete. Mit jeder Kampagne steigende Bekanntheitsgrade. Aber trotzdem sinkende Umsätze…
Sein Vorschlag: Umlernen. Marketeting-Etat kürzen. Neu Anfangen. Sein Prinzip “Marketeasing” kombiniert verschiedene Ansätze neu miteinander. Als erstes vertritt er die These, dass das alte Organisationsprinzip der Medien “Eine/r zu vielen” (Fernsehen, Radio, Zeitung) überholt sei. Leitmedien gäbe es nicht mehr. An deren Stelle sei das “Eine/r zu einigen”-Prinzip getreten, da das Internet zunehmend wichtiger werde.
Als zweites schlägt er vor, das Unternehmen sich auf “Fans” stützen solle. In diesem Prinzip sei der Erfolg der NGOs zu erklären. Da diese nur schmale Bugdets hätten, bliebe ihnen gar keine andere Wahl, als kleinräumig, dezentral, vernetzt und selbstorganisiert zu agieren. Das “klassische” Marketing, also das Gewinnen und Überzeugen neuer UnterstützerInnen/Kunden wurden bei NGOs überzeugte Ehrenamtliche übernehmen, die die Ziele der NGO/ die Proddukte des Unternehmens als Multiplikatoren an ihr Umfeld herantragen. Nach diesem Modell sei der Erfolg von Firefox und Apple zu erklären.
Daraus folgend schlägt Röthlingshofer vor, sich mehr auf Kundenbindung zu verlegen. Unternehmen müssten Kunden das Gefühl geben, “dabei zu sein”. Hier schließt Röthlingshofer wieder an die “Brand-Logic” an, die z.B. Nike seit langem praktiziert.
Ein interessanter Aspekt des Buches ist, dass Röthlingshofer fordert, den ganzen “Marketing-Müll” über Bord zu werfen und statt dessen z.B. das Organisationsmodell der NGOs zu kopieren, um Unternehmen effizienter zu machen. In der NGO-Welt läuft gerade ein anderer Prozess ab: Die dortigen Bewegungseliten werfen zunehmend das NGO-Modell über Bord, und führen den von Röthlingshofer verworfenen “Marketing-Müll” ein. Ob darin der tendenzielle Spendenrückgang für NGOs eine Erklärung findet?
Eine andere Frage ist, ob Werbung wirklich tot ist. Röthlingshofer stützt diese Behauptung auf die These, dass nach Marketingskriterien “erfolgreiche” Kampagnen schon lange keine NeukundInnen mehr garantieren. Als Marketingexperte übersieht er hier, dass Werbung eventuell andere Effekte haben könnte. Nämlich bewustseinsbildene.
Ich denke, das Aufgreifen von Klischees, Stereotypen und Wertvorstellungen in der “Old-School-Werbung” die auch laut Röthlingshofer zum Eskapismus neigt, verstärkt die in dieser Gesellschaft ohnehin schon bestehenden diskriminierenden Diskurse wie z.B. Frauenfeindlichkeit oder Schlankheitswahn. Selbst wenn die Werbung also fast tot ist, gibt es für Adbusters noch jede Menge zu erledigen.