Rauchschwaden hingen über dem Rostocker Hafenviertel. Polizeigreiftrupps fallen über einzelne Demonstrantinnen her. AnwohnerInnen sind geschockt: „Das der bunte Protest so kippen konnte! Das hätte ich nie erwartet!“
Dabei wurde seit Wochen sehr viel unternommen, um Krawalle zu verhindern: 16.000 Polizisten wurden in Rostock zusammengezogen. Razzien und Repression gegen linke Projekte bereits im Vorfeld. Die damalige PDS/SPD-Koalition in Mc Pom verabschiedete ein neues Polizeigesetz mit vielen weitreichenden Möglichkeiten vielen Grundrechtseinschränkungen.
Und auch die NGOs bemühten sich nach Kräften, für Ordnung zu sorgen: „Kavala hat uns zugesagt, dass von ihrer Seite keine Provokationen erfolgen werden. Unter dieser Voraussetzung haben sich alle mitdemonstrierenden Gruppen explizit auf das friedliche Konzept verpflichtet“ (Mani Stenner, Geschäftsführer des Netzwerkes Friedenskooperative und Mitglied der Demo-Leitung und wer Polizisten glaubt ist selber schuld). Diese Bemühungen gingen sogar soweit, dass Attac bereit war, sich als Hilfspolizei aufzuspielen: Wenn jemand den friedlichen Ablauf störe, „dann ist es in unserem eigenen Interesse, dass wir das schnell in den Griff bekommen“(Werner Rätz, Attac Co-Kreis).
Dieser Positivbezug auf bei Bedarf auch gewaltätige Durchsetzungsmittel überrascht nicht, denn Attac ist der Hauptnutzniesser der offenen Gewalt im Vorfeld des Gipfels. Attac profitiert ganz offen davon, wenn in ganz Deutschland Türen zerschlagen, Menschen schikaniert und politische Projekte als Terroristen verunglimpft werden. Denn anstatt dass MedienvertreterInnen bei den Betroffenen nachfragen, dürfen hohe Attac-Funktionäre das Geschehen aus sichere Distanz kommentieren.
Hinter diesem Phänomen steht nicht etwa Zufall, sondern Strategie. Attac bemüht sich seit seiner Gründung 2000 für die gesamte Globalisierungskritische Bewegung zu sprechen, und weite Teile dieser zu vereinnahmen: „Das Symbol der Antiglobalisierungsbewegung ist die Bürgervereinigung Attac, die mit ihren rotenweisen Fahnen auf jeder Kundgebung vertreten ist“ (Peter Wahl, Sie küssten und sie schlugen sich“ in Ulrich Brand u.a. (2001, S.133)). Doch nicht nur die Globalisierungskritischen Bewegung wird ungefragt eingemeindet: „Das Forum von Porto Alegre vertritt die Menscheit. Was sich dort jedes Jahr Ende Januar versammelt, ist zum ersten Mal in der Geschichte-die Menscheit!“ (Ignacio Ramonet, Attac-Initiator und Ehrenpräsident, Frankreich über das NGO Treffen „Weltsozialforum“). Und die Strategie geht auf: Dank der linksliberalen Presse wie Taz, Frankfurter Rundschau oder Süddeutsche, die auf die nichtssagegenden und harmlosen Attac-Forderungen abfährt, wird Attac als die legitime SprecherIn der Welt in Globalisierungsfragen vermarktet. Auch die Billanz stimmt: Nach den Razzien vor dem G8 Gipfel konnte Attac 160.000 Euro Spenden und neue 850 zahlungskräftige Mitglieder vermelden.
Noch weitergehend lässt sich sagen, dass Attac ohne Krawalle nie einflussreich geworden wäre. 1999 begannen mit den massiven Protesten gegen die WTO in Seattle die „großen“ Globalisierungsproteste. Ein halbes Jahr vorher fand der G7-Gipfel in Köln statt. Fette Proteste? Fehlanzeige. Medienwirkung? Fehlanzeige. Kritik am G8 in der Öffendlichkeit? Fehlanzeige. Die NGOs (z.B. WEED mit Peter Wahl) hatten sich darauf geeinigt, dass Nähe zur Politik und Lobbying die Mittel der Wahl seien. „Ein Moratorium zu fordern, und damit ein kleines bisschen Sand ins Getriebe zu werfen, ist natürlich ein klassisches Oppositionsinstrument. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das nicht funktionieren wird“, meint WEED und Attac-Funktionär Peter Wahl noch ein halbes Jahr später anlässlich der WTO-Konferenz in Seattle, die von massiven Protesten begleitet war. Doch nur der millitanten Proteste wegen interessierte sich überhaupt jemand für die Kommentare des Multifunktionärs!
Gleiches zeigt sich auch beim entgültigen Aufstieg Attacs. Das Interesse der Öffendlichkeit an der globalisierungskritischen Bewegung erwacht im Langeweile-Land Deutschland mit Verspätung. Erst nach den Protesten in Göteborg gegen den EU-Gipfel und der krassen Polizeigewalt (u.a. scharfe Schüsse auf DemonstrantInnen) interessieren sich die Medien für das Thema. Doch noch ist die Konsolidierung von Attac nicht abgeschlossen. Der Spiegel interviewt z.B. als führende Teile der Bewegung Attac, die Trotzkisten von Linksruck und Schöner-leben-Göttingen als Teil des Direct-Aktion-Netzwerk Hoppetosse. Dies ändert sich nach Genua. Nach den dortigen Protesten erwacht in der dumm-deutschen Medienlandschaft so richtig das Interesse am Thema, und die Attac-Eliten und die sie unterstützenden Medien (Frankfurter Rundschau, Zeit und taz) schaffen es, Attac als DIE globalisierungskritische Bewegung darzustellen. Die MitgliderInnenzahl wächst innerhalb von vier Wochen von 500 auf 1000 und bis August 2002 auf 8000 (heute: ca. 16.000). Durch den geschickten Ausbau von Medienkontakten und die Ausnutzung der starken Proteste im Ausland gelang es Attac erst, so bedeutend zu werden. Attac hat somit immer von Gewalt profitiert, egal unter welchen Umständen. Und warscheinlich gelingt dies den medienverliebten Funktionären auch diesmal: „Wir wollen euch nicht mehr sehen!“, erklärte Attac-Sprecher Peter Wahl am Sonntag im Fernsehsender n-tv in Richtung Autonome.
Mehr dazu:
https://wwww.attac-online.de.vu
https://www.sven-giegold.de.vu
https://www.projektwerkstatt.de/debatte/gewalt.html