Husuma

1. Juni 2006

Immer brav im Kreis?


Seit Jahren fällt Protestbewegungen zu spannenden Themen immer nur eins ein: Demonstrationen. Meistens sind dies eher langweilige Veranstaltungen, die an der konkreten Sache selten etwas ändern, und deren Kommunikations-und Vermittlungseffekte leider eher gering ausfallen. Und schaffen Demos einige Probleme, die sie vorgeben zu lösen, nicht erst? Ein Artikel über die Nebenwirkungen von verregelten Protest.

Lärm dröhnt durch die Straßen. Es sind jedoch keine Fußballfans, denn mit etwas guten Willen klingt durch das Gemurmel der Teilnehmer „Die letzte Schlacht“ von den Scherben. Aha, wahrscheinlich eine Demo. Wofür, lässt sich leider aus den Szenesprüchen der mitgetragenen Transparente für NormalbürgerInnen nicht entnehmen. Und auch der Slogan „Feuer und Flamme den Abschiebebehörden“ scheint leider nicht wörtlich gemeint zu sein, denn alle gehen miteinander quatschend an der Ausländerbehörde vorbei. Ein Mensch geht auf eine Gruppe von AktivistInnen zu und fragt, was die Demo zu bedeuten habe. „Gegen Abschiebung!“ lautet die Antwort. Ob er kurz genaueres erklären könne. „Ãhm“, da müssen Sie da vorne fragen. Die wissen Bescheid!“

Die traurige Realität
So oder so ähnlich präsentieren sich leider die meisten Demos ihrem Publikum. Grund genug, zu fragen, ob dieses Missverhältnis bereits in der Aktionsform „Demonstration“ angelegt ist. Tatsache ist: Bereits das Konzept „Demo“ ist zutiefst hierarchisch. Die Demo wird meistens von einer kleinen Gruppe oder Einzelpersonen geplant. Diese legen in Absprache mit den Behörden Ort, Zeit, Dauer und Thema fest („Anna und Artur haltens Maul“ gilt für Checker offensichtlich nicht…“. Auch auf der Demo gibt es dann immer Wichtigmenschen, die den Weg angeben, den TeilnehmerInnen die Slogans vorgeben und die Redebeiträge halten. Selbst ein Offenes Mikrofon lösst dieses Problem nicht, denn durch die auch bei Linken anzutreffende kulturelle Grammatik(1) reden immer wieder nur die Wichtigmenschen, oder die, die sich als solche empfinden. Die normalen TeilnehmerInnen bringen selten mehr mit als sich selbst, und laufen dann im Kreis und rufen die Slogans der Wichtigmenschen. Auf die Idee, das mensch auch noch anderes während einer Demo machen könnte, um deren Vermittlungswirkung zu erhöhen, kommt selten jemand (selbst das Flyer verteilen an Passanten fehlt häufig!). Und dies ist oft auch so gewollt. Die Demo-Eliten könnten ansonsten ihren Einfluss auf das Geschehen verlieren, und sie brauchen die TeilnehmerInnen nur als Füllmaterial für die Pressebilder. Und den Cops wird es leicht gemacht, den Protest zu kanalisieren und verpuffen zu lassen.

Herrschaft in der Demo…
„Eh man, mit deiner Eigenwilligkeit gefährdest du die Wahrnehmung der ganzen Demo!“ regt sich ein Order auf. Der verdutzte Teilnehmer schaut kurz auf: „Na ja, indem ich hier „Abschiebung ist Folter!“ mit Kreide auf die Straße male, sorge ich doch eher dafür, das es noch mehr Wahrnehmung gibt.“ Überrascht legt der Ordner nach: „Aber wir müssen nachher unseren Kopf dafür herhalten. Im Kooperationsgespräch mit der Polizei haben die ganz klar gesagt, das sie das nicht wollen.“ Wieder zögert der Mensch mit der Kreide nur kurz: „Aber du kannst doch weder im Vorfeld für mich sprechen, noch kannst du verlangen, das ich mich an Abmachungen halte, bei denen ich gar nicht dabei war. Außerdem kannst du nicht für mein Tun verantwortlich gemacht werden.“

…auch rechtlich abgesichert
Leider ist dieser Dialog fast klassisch, und er hat so statt gefunden (2.Makitu-Demo). Zaghafte Versuche, Demos spannender zu machen enden oft schon an den „eigenen“ Leuten. Und dies ist strukturell klug angelegt: Das Versammlungsrecht ist ein sehr starkes Recht und bricht sogar Polizeirecht. Polizisten dürfen gegen Demos theoretisch nur eingeschränkt vorgehen. Damit trotzdem die angebliche Ordnung und behauptete Sicherheit nicht gefährdet wird, gibt es Ordner, die praktisch als Hilfspolizisten fungieren müssten. Verstärkt wird diese Hierarchie noch dadurch, dass die zuständigen Polizisten den Verantwortlichen in sog. Kooperationsgesprächen einreden, dass diese für den Schabernack anderer Leute zur Rechenschaft gezogen werden könnten (was aber nur bedingt möglich ist). Oft verwechseln Aktivistis diese Selbstkontrolle mit Selbstorganisation, und so werden krasse Herrschaftsübergriffe wie oben im Beispiel erklärbar. Somit gibt es trotz starkem Demorecht selten starke Proteste, sondern eher leicht kontrollierbare und schnell kanalisierbare Protestformen. Das mit dem Demorecht nebenbei der gesellschaftliche Subraum (2) „Demo“ quasi von vornherein hierarchisch aufgeladen ist , und damit oft unemanzipatorisch wirkt, wird selten thematisiert. Alle diese Punkte sind mit dem Ansatz einer hierarchiearmen Organisationsform nur schwer zu vereinbaren. Somit wird durch das vermeintlich starke Demorecht vor allem der Polizei die Arbeit erleichtert. Die krasse Folge dieser Aufladung sieht mensch daran, dass die Demoteilis sich oft als überhaupt nicht handlungsfähig empfinden. Nazis fotografieren, niemand handelt. Verhaftungen finden statt, niemand handelt. BürgerInnen fragen, niemand handelt. Kreide wird verteilt, und es kommt die Frage: „Und was soll ich schreiben?“ Demos scheinen den Selbstorganisationsgrad von politisch Aktiven nicht gerade zu erhöhen. Stattdessen wird ein bereits organisiertes „All inclusive-Protest-Programm“ erwartet, in das mensch sich nur noch einreihen braucht.

Anmerkungen
(1) Kulturelle Grammatik ist ein un-ausgesprochenes Regelwerk, das regelt, das jeder Mensch sich in jeder Situation „angemessen“ verhält. Geschieht dies nicht, wird dies sehr schnell als unangenehmer Bruch wahrgenommen, z.B. in Anwesenheit einer Witwe Witze über Tote zu machen, o.ä. Einiges Elemente der Kulturellen Grammatik mögen sinnvoll sein, andere hingegen zementieren Herrschaftsverhältnisse. So z.B. das „Siezen“ von Lehrern und anderen Autoritäten. In der sog. „Linken“ anzutreffende herrschaftsstabilisierende Elemente der Kulturellen Grammatik sind z.B. das Argument: „Das haben wir schon immer so gemacht!“ Dieses schützt meistens Eliten. Oder das Tabu, über Gefühle zu sprechen. Ebenfalls weit verbreitet sind Elemente, die Gruppenzwang erzeugen.

(2) Ein gesellschaftlicher Subraum ist nicht unbedingt räumlich definiert. Vielmehr geht es um einen sozialen Raum, also ein miteinander von Menschen. Und in diese Räume werden sehr leicht autoritär aufgeladen, da die Menschen in diesem Raum sich oft genug nicht genug selbst reflektieren, und so ihre herrschaftsförmige Zurichtung natürlich mit hinein nehmen.

Weblinks

Demorecht:
https://www.demorecht.de.vu

Kreativer Straßenprotest:
https://go-stop-act.de

Kreative Protestformen:
https://www.direct-action.de.vu

Demokritik und generelle Hierarchiekritik:
https://www.hierarchnie.de.vu

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