Von Kletteraktionen am Rathausturm in Husum/Nordsee, Transpis, die das Naziproblem lösen und einer drohenden Abschiebung in den Kongo, Gegenaktivitäten und einer bevorstehenden Demonstration. Am Wochenende montierten kletterbewanderte Aktivistis am Husumer Rathausturm ein Transparent. Auf diesem stand der Slogan: „kein mensch ist illegal!“ Erst am Montag wurde das Transpi entfernt. Der Rathausturm liegt mitten in der Touristenflaniermeile und ist weithin sichtbar. Zudem war Spitzenwetter.
Banner lösen fast das Nazi-Problem
Nebenbei hätte die Transparentaktion fast das Nazi-Problem in Husum gelöst: Gegen Sonntag Nachmittag bemühten sich Marc Tenten und Susanne G. (beide Kameradschaft NF) vergeblich, das ihnen unangenehme Transparent zu entfernen. Ohne jegliche Absicherung kletterten beide auf dem Turm umher, ohne allerdings das Transparent zu erreichen. Nachdem viele das verrenkungsreiche Schauspiel verfolgten, betätigten sich zwei Streifenpolizisten als Spielverderber, indem sie eine Personenkontrolle bei den beiden Nazis durchführten.
Aktion gegen Abschiedung
Offensichtlich steht die Kletter-Aktion in Zusammenhang mit einer bevorstehenden Abschiebung einer in Husum lebenden Familie in den Kongo. Die Eheleute werden seit 11, bzw. 7 Jahren in D-Land geduldet, der dreijährige Sohn ist in Husum geboren. Ihr Fall wurde letzte Woche von der Härtefallkommission in Kiel mit „Raus!“ beantwortet. Um gegen die Entscheidung, das ganze Asylrecht und für Bewegungsfreiheit für alle zu protestieren findet am Donnerstag, den 15.6.06 um 17:00 Uhr auf dem Marktplatz in Husum eine Demonstration statt. Organisiert wird die Demo von Freunden und Bekannten und anderen Menschen, die sich für das Bleiberecht der Familie einsetzen wollen.
Gründe gegen Abschiebung
Abgesehen von der Frage, ob nicht allein der Wille der Familie, in Deutschland zu bleiben, dafür ausreichen sollte, bringt die bevorstehende Abschiebung große Probleme mit sich:
– Die Frau kommt aus Rhuanda, der Mann aus Kongo. Beide Länder sind stark verfeindet, ein Krieg droht nach der Wahl.
– Die Sicherheitslage im Kongo wird von der deutschen Regierung so eingeschätzt, dass Bundeswehrsoldaten zur Sicherung in das Land geschickt werden sollen. Abgeschoben kann offensichtlich nach Einschätzung der Verantwortlichen trotzdem werden.
– Im Kongo herrschen prekäre gesundheitliche Zustande, Krankheiten und Seuchen stehen auf der Tagesordnung, Kindersoldaten sind keine Seltenheit.
Die Hintergründe:
Stell dir vor, Du bist hier in Deutschland geboren und bist drei Jahre alt. Alle deine Freunde leben hier und du gehst hier in den Kindergarten. Du bist hier in Husum zu Hause. Doch eines Tages bekommst du die Nachricht, dass du und deine Familie nach Afrika, in ein Land namens Kongo abgeschoben werden sollen, obwohl diene Mutter seit 7 Jahren und dein Vater seit über zehn Jahren hier leben. Dein Vater hat 7 Jahre auf Sylt gearbeitet, bis ihm die Arbeitserlaubnis wieder willkürlich entzogen wurde.
Ihr sollt abgeschoben werden in ein Land, in dem Bürgerkrieg herrscht. In ein Land, in dem es kein freiheitliches und stabiles System gibt, in dem die Pest und Cholera täglich neue Leben fordert, da es dort weder sauberes Trinkwasser, noch eine ausreichende medizinische Versorgung gibt und in dem es nicht nur in den Gefängnissen ständig Fälle von Folterungen und Vergewaltigungen gibt. In ein Land, in dem deine Mutter politisch verfolgt werden wird, da sie aus Ruanda stammt. Ihre Familie wurde während eines Massakers in Ruanda getötet. Kongo ist ein Land, in dem Kindersoldaten im Bür-gerkrieg ihr Leben lassen. Auch deinem Vater droht Lebensgefahr, da er gesundheitliche Probleme hat, die im Kongo nicht behandelt werden können. Dennoch sieht das zuständige Komitee die Gefahr im Kongo als nicht lebensbedrohlich an.
Diese Situation ist Realität für den dreijährigen Jeremie Makitu und seine Familie. Sein Vater, Kisita Makitu floh vor 10 Jahren aus dem Kongo, weil er dort verfolgt wurde, da er Anhänger einer Oppositionsbewegung war und an einer Demonstration teilgenommen hatte. Seine Mutter kam vor 7 Jahren aus dem Kongo nach Deutschland, nachdem sie von Ruanda in den Kongo geflohen ist, weil ihre Familie ermordet wurde.
Abschiebungen sind in Deutschland ein Mittel des Staates, um Menschen, die hier leben, aber nach Ansicht der Gesetze, Behörden und Gerichte kein Recht darauf haben, hier zu bleiben, wieder los zu werden. Das Grundrecht auf Asyl wurde in den letzten Jahren immer weiter eingeschränkt, inzwischen liegt die Anerkennungsquote nur bei etwa 1,5%. Wenige andere erhalten vorrübergehende Duldungen, die meisten werden gleich wieder abgeschoben. Nach UN-Angaben sind weltweit über 40 Millionen Menschen auf der Flucht. Niemand flieht, ohne einen guten Grund dazu zu haben, z.B. Krieg und Bürgerkrieg, politische Verfolgung, Hunger, Vergewaltigung, Genitalverstümmelung.
Abschiebung, was bedeutet das überhaupt? Eine Abschiebung ist etwas völlig anderes als ein Urlaubsflug. Menschen werden gegen ihren Willen gezwungen, das Land zu verlassen. Abschiebungen erfolgen oft unter Anwendung von Gewalt. Nicht wenige Flüchtlinge sind bei ihrer Abschiebung durch die brutale Behandlung durch den BGS gestorben. Für viele Abgeschobene beginnt nach der Abschiebung eine ungewisse Zukunft. Manche Flüchtlinge werden direkt nach der Abschiebung ins Gefängnis gesteckt, ermordet oder gefoltert.
Das Schicksal der Familie Makitu ist ein besonders hartes Flüchtlingsschicksal, aber in Deutschland alles andere als ein Einzelfall. Täglich werden Menschen aus Deutschland abgeschoben, zigtausende Asylanträge werden jährlich abgelehnt. Während der Fußball-WM 2006 unter dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ zeigt Deutschland, dass von Gastfreundschaft wirklich nicht die Rede sein kann.
Auch für die wenigen Flüchtlinge, die in Deutschland bleiben dürfen, beginnt eine ungewisse Zukunft. Sie dürfen das Kreisgebiet des Kreises, dem sie zugeteilt wurden, meist nicht verlassen, dürfen in der Regel nicht arbeiten und werden oft in Lagern interniert. Ohne Recht auf Arbeit sind sie auf nur geringe staatliche Leistungen angewiesen, die oft nur in Form von Gutscheinen ausgeteilt werden. Nicht mal das Essen dürfen sich Flüchtlinge in Deutschland selbst aussuchen – von Gastfreundschaft keine Spur.
Grundrechte, zum Beispiel das Grundrecht auf Reisefreiheit, werden oft nicht gewährt. Durch die Unterbringung in Lagern und das Arbeitsverbot wird ein Kontakt zum Rest der Bevölkerung von staatlicher Seite verhindert. Eine Integration liegt offenbar nicht im Interesse der Bundesrepublik.
Auch Familie Makitu stellte in Deutschland Anträge auf Asyl, denen aber nicht stattgegeben wurde. Bis alle Instanzen durchlaufen waren, vergingen viele Jahre, jetzt steht der Termin für die Abschiebung. Einen Flug für den 05.07.06 hat die Ausländerbehörde des Kreises Nordfriesland gebucht.
Was würde es bedeuteten, diese Familie in den Kongo zu schicken? Der Kongo ist eines der ärmsten Länder der Welt, die politische Situation ist extrem instabil, es herrscht Bürgerkrieg. Demnächst sind im Kongo Wahlen, zu denen verschiedene Nachbarstaaten und Rebellengruppen mit Krieg gedroht haben, sollte das Ergebnis ihnen nicht passen. Die BRD entsendet in den Kongo Soldaten, um die Wahlen zu sichern, doch diese sollen sich nur in der Hauptstadt aufhalten, der überwiegende Teil bleibt gleich im Nachbarland, weil die Situation im Kongo als zu gefährlich eingeschätzt wird. Die gesundheitliche Lage im Kongo ist prekär, die Lebenserwartung liegt bei 46 Jahren für Männer. Pest und Cholera, Gelbfieber, Malaria, Pocken, AIDS und andere Krankheiten, die wir Mitteleuropäer größtenteils nur aus Geschichtsbüchern kennen, sind dort bittere Realität. Es gibt kein staatliches Gesundheitssystem und kaum sauberes Trinkwasser. Der Kongo ist vom Bürgerkrieg gezeichnet. Kindersoldaten, Massenvergewaltigungen und extreme Armut bestimmen das Bild des Landes.
In genau dieses Land soll Familie Makitu abgeschoben werden, obwohl sie sich in Deutschland zuhause fühlen. Der Sohn Jeremie ist hier geboren, geht hier in den Kindergarten und kennt sein vermeintliches Heimatland genauso wenig wie die meisten von uns. Sein Vater lebt 10 Jahre hier, hat sieben Jahre auf Sylt gearbeitet und in die Rentenkasse eingezahlt. Die Familie hat sich stets an die Gesetze und an staatlichen Auflagen gehalten.
Doch all dies ist für die Ausländerbehörde des Kreises Nordfriesland kein Grund, nicht abzuschieben, obwohl es im Ermessen der Ausländerbehörde liegt, die Familie weiter zu dulden und sogar die juristische Möglichkeit besteht, eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Stattdessen hält man sich an das, was übergeordnete Instanzen entschieden haben, über die Köpfe und über den gesunden Menschenverstand hinweg. Der dreijährige Jeremie ist derzeit nicht geimpft gegen die vielen Krankheiten, die im Kongo herrschen. Gegen viele weitere gibt es keine Impfung, z.B. Aids und Malaria. Die Bundeswehrsoldaten, die in den Kongo entsendet werden, werden Monate vorher auf den Aufenthalt vorbereitet, die Ausländerbehörde beruft sich darauf, Jeremie auch im Kongo impfen zu können – obwohl Impfungen im zeitlichen Abstand erfolgen müssen und erst nach einiger Zeit wirksam werden. Doch Impfungen können nur einen kleinen Beitrag leisten, die Situation der Familie zu verbessern, es bleibt eine menschliche Katastrophe, die Familie abzuschieben – ohne dass es für die Ausländerbehörde rechtlich notwendig wäre.
Viele Menschen aus Husum und Umgebung sehen das genauso, es laufen eine ganze Reihe von Gegenaktivitäten mit dem Ziel, die Abschiebung doch noch zu verhindern. Es fing an mit Transparenten, die in der Stadt hingen, zum Beispiel eines mit der Aufschrift „Kein Mensch ist illegal“ am Turm am Rathaus. Bei den waghalsigen und gefährlichen Kletteraktionen der Husumer Stadtnazis Tenten und Gant, die versuchten, dieses zu entfernen, hätte sich das Husumer Naziproblem fast von selbst gelöst. Die Polizei vereitelte dies jedoch.
Am Donnerstag, den 15.06.06 demonstrierten in Husum 250-300 Menschen gegen die Abschiebung. Es wurde immer lautstarker ein Bleiberecht für Familie Makitu und andere hier lebende Flüchtlinge gefordert. Der Demonstrationszug lief durch die Husumer Innenstadt, es wurden Parolen gegen Abschiebung gerufen und Redebeiträge informierten über die Situation. Noch Tage später fanden sich Kreideschriftzüge auf Husums Straßen. Die Husumer Nachrichten berichteten in einem großen Artikel. Derzeit findet sich fast täglich in den Kernzeiten von 14-18 Uhr auf dem Marktplatz in Husum ein Infostand, der über die Situation der Familie informiert und an dem Unterschriften gegen die Abschiebung gesammelt werden. Parallel gibt es eine Online-Unterschriftenliste, die über die Internetseite https://www.makitu.de zu erreichen ist.