Husuma

20. Februar 2012

Antimil- Gleisblockade: Polizei SL tritt nach

Ist legale staatliche Gewalt keine Gewalt?

In der Prozessserie nach einer antimilitaristische Gleisblockade aus dem Jahr 2008 in der Nähe des nordfriesischen Husum wird es im Frühjahr in die nächste Runde gehen. Nachdem beim letzten Prozess gegen die als „Haupttäterin“ konstruierte Person vor dem OLG Schleswig im Frühjahr 2011 zwei Prozessbesucher von Angehörige der ausführenden Gewalt geschlagen und eingesperrt wurden, verschickte das Schleswiger Amtsgericht Strafbefehle an die Betroffenen.

Konstruierte Vorwürfe
„Es geht um das Übliche, wenn ihnen nichts besseres einfällt: Widerstand und Beleidigung“ kommentiert dies einer der Betroffenen. So habe z.B. der Einsatzleiter Anzeige erstattet, weil er behauptet, mit der Frage beleidigt worden zu sein, ob er vor Ort der ranghöchste staatliche Gewalttäter sei, und ob er den gewalttätigen Einsatz leiten würde. Laut den Betroffenen zeige sich hier, dass der Schleswiger Polizei jeglicher Maßstab abhanden gekommen ist: „Wenn PolizistInnen in ihrem Arbeitsalltag Menschen mit Schikanen, Freiheitsberaubung, Schlägen und Tritten zu etwas zwingen müssen, dann ist das Gewalt. Dabei spielt es keine Rolle, ob legal oder illegal. Beides ist gleich schmerzhaft!“ bemerkt einer der Angeklagten.

Die Vorgeschichte
Morgens in Schleswig, 4. Februar 2011. Vor dem Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichtes hat die „Mobile Einsatzgruppe Justiz“ (MEG) eine, wie sie sagen, „Sicherheitszone“ aufgebaut. Die Truppe, die nach dem 11. September 2001 gegründet wurde, soll heute, wie eine Verfügung des zuständigen Richters Williams bekannt gibt, vor gefährlichen Gegenständen schützen. Doch bei den Taschenkontrollen und Durchsuchungen der staatlich nicht privilegierten BesucherInnen beschlagnahmen die Beamten nicht ein einziges Messer, keine Waffe oder ähnliches. Statt dessen sammeln sich vor den martialisch aussehende UniformträgerInnen Dinge wie Konfetti, Luftballons, Luftschlangen und Straßenmalkreide.

Richter versteckt sich hinter Panzerglas vor Konfetti
Die etwa 20 Menschen, die vom MEG auf äußerst schikanöse Weise durchsucht werden, sehen auch nicht gerade besonders gefährlich aus. Die meisten sind Mitte 20, tragen bunte Kleidung und teils auffallende Frisuren. Einer läuft barfuß. Auch einige ältere Semester haben sich eingefunden. Ihnen gegenüber steht ein Richter, der sich hinter einer kugelsicheren Panzerglasscheibe verschanzt und sich zusätzlich durch ein Dutzend Spezialgewalttäter (MEG-Justiz) mit wenig Skrupel vom einfachen Volk abgrenzt. Die örtliche Polizei ist zudem mit etwa 20 Beamten einschließlich Kampfhundeführer vertreten. Auch an der Angeklagten kann es nicht liegen: Sie misst gerade einmal 156 cm. „Ein kleiner Mensch im Gleisbett“ hatte eine Tageszeitung einmal getitelt. Im Gleisbett hatte sie gelegen, weil sie sich dort angekettet hatte, um gegen einen Militärtransport der Husumer Bundeswehr zur Nato-Response-Force mit einer Ankettaktion zu protestieren.

Staatliche Gewalt gegen KritikerInnen
Der Prozessbeginn rückt näher. Einer der Prozessbesucher rollt sein Protestbanner ein und betritt das Gebäude. Dort wird er im Vorraum von den MEG-Beamten angehalten. Sie befehlen ihm, seine Tasche auszuleeren. Der junge Mann, der barfuß den Kampfstiefeln gegenüber steht, weigert sich: „Für das Durchwühlen von Taschen werden Sie bezahlt, nicht ich.“ Nach einigem hin und her gehen eine letzten Worte in einem Schmerzensschrei unter, denn noch während er spricht, packen ihn zwei der Beamten, verdrehen den jungen Mann die Arme und reißen ihn brutal zu Boden. Daraufhin wird er direkt zur Wache in Gewahrsam gebracht, weil er ein Störer sei. Die MEGlerInnen werden noch am selben Tag eine Anzeige schreiben, in der sie behaupten, der Betroffene habe Widerstand gegen eine Polizeimaßnahme geleistet, indem er sich gegen das Hinausbringen gewehrt habe.
Es bleibt weder die einzige dubiose Anzeige noch die einzige staatlich bezahlte Gewalt des Tages. Unter ähnlichen Umständen wird noch ein weiterer Unterstützer der Angeklagten aus dem Gericht in die Polizeiwache gebracht. Als die beiden Verhafteten nach ihrer Entlassung von solidarischen Menschen in Empfang genommen werden, geht den anwesenden PolizistInnen das Verlassen des Parkplatzes nicht schnell genug. Angeblich um einen vorher ausgesprochenen Platzverweis durchzusetzen, stürmen ein Dutzend Polizisten aus der Wache. Sofort stoßen und schubsen die Angehörigen der ausführenden Gewalt die Betroffenen vom Gelände. Als eine Person ansetzt, das Geschehen mit einer Kamera zu dokumentieren, schlägt laut den Betroffenen der Polizeiobermeister Paulsen mit dem Schlagstock auf Kopfhöhe zu. Er trifft, die Kamera fällt zu Boden. „Wenn ein Hauptkommisar kein Bewusstsein für seine Sonderrolle als Ausführender des staatlichen Gewaltmonopols hat, dann wird verständlich, warum es seinen Untergebenen normal erscheint, der Pressefreiheit mit dem Schlagstock zu begegnen“ kommentiert dies einer der Angeklagten.

Schläge gegen Bildberichterstattung
Der leidende Angehörige der ausführenden Gewalt schildert in seiner Anzeige den Vorgang freilich anders. Weil der Betroffene angeblich „das Gelände trotz Aufforderung nicht verlassen wollte, wurde im mit dem Mehrzweckeinsatzschlagstock (MES) ein Schlag/Stoß gegen den Rücken (Rücksack) versetzt und dabei in Richtung Straße weggedrängt. (…) Nach dem Schlag/Stoß und Wegdrängen mit dem MES drehte sich (Name des Betroffenen) sofort um und wollte POM Paulsen offensichtlich aus nächster Nähe mit der Kamera fotografieren.(…) Aus diesem Grund zog POM Paulsen seinen Arm hoch und traf dabei die Kamera“. „Selbst wenn die Story so stimmen würde, wäre das der Hammer!“ kommentiert dies einer der Betroffenen. „Die Cops schildern hier, wie sie eine sich entfernende Person mit dem Schlagstock schlagen, und anschließend nachsetzen, um die Bildberichterstattung über diese unverhältnismäßige Gewaltanwendung zu verhindern“.
In einer weiteren Anzeige wird behauptet, einer der gerade entlassenen Aktivistis habe sich „zu einem ebenfalls vor dem Gebäude der Polizei-Zentralstation Schleswig stehenden Naturstein“ begeben, „ auf welchem das Wappen des Landes Schleswig-Holstein mit dem Schriftzug ,Polizei” eingemeißelt war. Dort zogen Sie lhre Hose herunter und wischten mit entblößtem Gesäß über das Landeswappen, um lhre Missachtung zum Ausdruck zu bringen.“ Damit wird ihm vorgeworfen, „ an von einer Behörde öffentlich angebrachten Hoheitszeichen eines der Länder der Bundesrepublik Deutschland beschimpfenden Unfug verübt zu haben“. Der Betroffene sagte zu den Vorwürfen, er sei „auf Zinne“ gewesen, als er die Wache verließ: „Die haben mir in den Unterleib geboxt und mir meine Kontaktlinsen in die Augen gedrückt!“

Staatliche Schreibtischtäter schützen Gewalttäter
Die polizeieigene Dokumentation einer gewaltsamen Einschränkung der Pressefreiheit, eines Schlagstockeinsatzes, mehrerer Gewalttaten und zahlreicher Gewaltandrohungen durch staatlich bezahlte uniformierte Angehörige der Exekutive wird später über den Tisch des Wachleiters, des Staatsschutzes, der Staatsanwaltschaft Flensburg und über den der Richterin Kaufmann laufen. Sie alle finden daran nichts Schlimmes. Im Gegenteil. Der zuständige Staatsanwalt beschließt, dass er kein Verfahren gegen die gewalttätigen Angehörigen der ausführenden Gewalt einleiten müsse. „Aber die Frage nach dem für den Einsatz verantwortlichen staatlich bezahlten Gewalttäter muss natürlich bestraft werden.“ kommentiert dies einer der Angeklagten.

Der Prozess steht bevor:
Ein Prozesstermin steht noch nicht fest. Mehr Infos, genauere Schilderungen und Quellen unter: www.militarismus-jetzt-stoppen.de.vu

6 Comments »

  1. […] Mehr zu den damaligen Geschehnissen über diesen Artikel hinaus:  https://husuma.nirgendwo.info/2012/02/20/antimil-gleisblockade-polizei-sl-tritt-nach/#more-1110 […]

    Pingback by (1.) Dokumentation Polizeigewalt Schleswig — Antifa Netzwerk — 11. Februar 2013 @ 01:00

  2. […] wurden zwei UnterstützerInnen der Angeklagten mit massivem Gewalteinsatz verhaftet (  https://husuma.nirgendwo.info/2012/02/20/antimil-gleisblockade-polizei-sl-tritt-nach/ ). Ein weiterer Unterstützer steht nun am 20.3. wegen Beleidigung vor Gericht. Ihm wird […]

    Pingback by SL: Sind PolizistInnen gewalttätig? (Teil 4) — Antifa Netzwerk — 24. Februar 2013 @ 01:00

  3. […] wurden zwei UnterstützerInnen der Angeklagten mit massivem Gewalteinsatz verhaftet (  https://husuma.nirgendwo.info/2012/02/20/antimil-gleisblockade-polizei-sl-tritt-nach/ ). Ein weiterer Unterstützer steht nun am 20.3. wegen Beleidigung vor Gericht. Ihm wird […]

    Pingback by (Pol-Doku SL 5) Die Notwendigkeit von Gewalt — Antifa Netzwerk — 28. Februar 2013 @ 01:00

  4. […] Mit dem Vorwurf des (angeblichen) Widerstandes wurden zwei UnterstützerInnen der Angeklagten mit massivem Gewalteinsatz verhaftet. Ein weiterer Unterstützer steht nun am 20.3. wegen Beleidigung vor Gericht. Ihm wird […]

    Pingback by Die Notwendigkeit von Gewalt im demokratischen Regime (Polizei-Doku SL 5) | Krieg? Nirgendwo! — 8. März 2013 @ 13:41

  5. […] Militärtransport der Bundeswehr aufgehalten hatte, zu Schadensersatz. Während dessen geht die Schleswiger Polizei gewalttätig gegen UnterstützerInnen der Angeklagten vor. Laut Aktenlage bestreiten die Beamten den eigenen […]

    Pingback by Polizei-Doku Schleswig, Teil 2, Die Dienstaufsichtsbeschwerde | Krieg? Nirgendwo! — 8. März 2013 @ 13:47

  6. […] Im Frühjahr 2011 eskalierten anlässlich einer Gerichtsverhandlung gegen eine Antimilitaristin (Blockade Militärtransport nahe Husum) die eingesetzten BeamtInnen die Veranstaltung, indem sie das in einer schikanösen Eingangskontrolle wartende Publikum ordentlich aufmischten. Mit dem Vorwurf des (angeblichen) Widerstandes wurden zwei UnterstützerInnen der Angeklagten mit massivem Gewalteinsatz verhaftet. […]

    Pingback by Polizei-Doku Schleswig, Teil 4, Polizeigewalt als Selbstverständlichkeit im Diskurs | Krieg? Nirgendwo! — 12. März 2013 @ 00:46

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