Husuma

1. Dezember 2005

Die dunkle Seite des MarX


Karl Marx ist vielen ein Begriff als Autor von „Das Kapital“ und „Das Kommunistische Manifest“. Viele feiern ihn als unfehlbare Ikone des Antikapitalismus, dessen Analysen erst heute so richtig zuträfen. Doch einige seiner Texte wirken heute befremdlich. Würde das so heute formuliert werden, würde man eher an den Antisemitismus der NPD als an einen linken Theoretiker denken.

Marx schrieb zum Beispiel 1843 in seinem Aufsatz „zur Judenfrage“ u.a.: „Betrachten wir nun den wirklichen weltlichen Juden, nicht den Sabbatjuden, wie Bauer es tut, sondern den Alltagsjuden. Suchen wir das Geheimnis des Juden nicht in seiner Religion, sondern suchen wir das Geheimnis der Religion im wirklichen Juden. Welches ist der weltliche Grund des Judentums? Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz. Welches der weltliche Kultus der Juden? Der Schacher. Welches sein wirklicher Gott? Das Geld“ (1).

Religionskritik oder Antisemitismus?

In dem Text geht es seitenweiße so weiter. Marx zitiert auch andere Antisemiten: „Der Jude, der in Wien z.B. nur toleriert ist, bestimmt durch seine Geltmacht das Geschick des ganzen Reiches. Der Jude, der in dem kleinsten deutschen Staate rechtlos sein kann, entscheidet über das Schicksal ganz Europas“ (Bruno Bauer und Marx sagt „Stimmt!“ dazu)(2). Laut dem Marx-Biografen Irving Fetscher hat Marx den Artikel als Antwort an den schon erwähnten Bruno Brauer geschrieben. Brauer behauptet, die Juden müssten sich von ihrer Religion lösen, um Staatsbürger zu werden. Das fand Marx angeblich nicht. Er sei der Meinung, sowohl Juden als auch Deutsche müssten sich vom Judentum und dem Geldwesen emanzipieren. Geld, Schacher und Judentum werden hier als Synonyme verwendet.

Antisemitische Klischees
Das ist auch nicht zu verleugnen: Marx fordert definitiv die Emanzipation von Religionen. Für ihn sind Religionen immer Ausdruck eines Mangels. Jedoch schmeißt meiner Meinung Marx nur so mit Klischees um sich: „Ja, die praktische Herrschaft des Judentums über die christliche Welt hat in Nordamerika den unzweideutigen, normalen Ausdruck erreicht…“(3) Hier wie bei dem „Juden in Wien“ finden sich die antisemitischen Klischees von der jüdischen
Weltherrschaft (ZOG), dem viel zu einflussreichem Juden und die abwertende Unterstellung, dass dies nur an deren Geld läge (als ob es keine armen Juden gäbe). Zudem spricht Marx immer von „dem Juden“. Das unterstellt, das alle Juden ohne Ausnahme Geld hätten und mächtig seien, und sich miteinander verschworen hätten. Die Protokolle der Weisen von Zion lassen grüßen. Marx benutzt „Judentum“ und Kapitalismus als Synonyme: „Die Juden haben sich insoweit emanzipiert, als die Christen zu Juden geworden sind“(4).

Die Nationalität „Jude“
„Die schimärische Nationalität des Juden ist die Nationalität des Kaufmanns, überhaupt die des Geldmenschen.“(5) Auch schreibt Marx mehrmals im Stil von „Juden und/versus Deutsche“ Damit sagt Marx, das Judentum sei keine Religion, sondern eine Nationalität. Nationen beziehen sich auf Völker und Völker auf Rassen. Dass das Judentum völkisch (nicht religiös) definiert sei, war 1843 noch lange nicht antisemitischer Konsens. Gobineau schrieb seinen Scheiß 1853, Marr 1879, und der ebenfalls völkisch legitimierte Zionismus von Herzl (das „auserwählte“ jüdische Volk müsse zurück ins „gelobte Land“ Palästina siedeln) artikuliert sich um 1890-95. Marx ist damit ein früher Autor, der „Volk“ statt „Religion“ als Kriterium in Texten über das Judentum verwendet. Nun
ja, mag sein, das ich einfach zu dumm für Marx bin, und einfach nicht verstehe, was an all den Zitaten herrschaftskritisch ist.


Die Marx-Engels-Briefe

Marx und sein Kumpel Engels schrieben sich viele Briefe. Unter anderem lästern die beiden über Ferdinand Lassalle ab (deutscher SPD-Oberheini, der Kapitalismus scheiße fand, im Gegensatz zu Marx aber Parlamentarismus für sinnvoll hielt): „Der jüdische Nigger Lassalle, der glücklicherweise Ende dieser Woche abreißt….“(6) und Engels lästerte durchaus ähnlich niveaulos zurück.

Einzelfälle?
Vielleicht war das ein Einzelfall? Marx am 4.1.1853 in der in New York erscheinenden russischen Zeitung „The Russian Loan“: „So finden wir, dass hinter jedem Tyrann ein Jude, hinter jedem Papst ein Jesuit steht. Wahrlich, die Gelüste der Unterdrücker wären hoffnungslos, die Möglichkeit von Kriegen unvorstellbar, gäbe es nicht eine Armee von Jesuiten, das Denken zu drosseln, und eine Hand voll Juden, die Taschen zu plündern.“

Was tun?
War Marx nun Antisemit oder nur „ein Kind seiner Zeit“? Antisemitismus ist unter anderem der Verlust der Fähigkeit zu differenzieren. Das trifft auf die Zitate definitiv zu, da Marx mehrfach die „Geldwirtschaft“ mit dem Judentum gleichsetzt. Ob er diese Gleichung gezielt aus Judenhass aufstellt, oder ob er einfach gängige Klischees für seine Argumentation nutzt, lässt sich nur aus den Zitaten nicht erschließen. Auf jeden Fall lässt dies und die grobe Verallgemeinerung, die in der Wendung „der Jude“ steckt, die These vom strengen Analytiker Marx in einem Zwielicht erscheinen. Auch macht dies einen zu einseitigen Positivbezug auf Marx meiner Meinung nach schwer. Die Argumentation: „Marx hat gesagt…“ scheint mit Vorsicht zu genießen. Auch finde ich, das eine emanzipatorische Religions-kritik auf antisemitische Klischees leicht verzichten könnte.

Das Kapital
Im „Kapital“ findet sich eine Stelle, wo Geldwirtschaft gleich Judentum behauptet wird. Da Marx in „Die Judenfrage“ dies ständig tut, verknüpft sich zumindest in meinem Kopf das „Kapital“ mit „Judentum“. Ob mensch sich deshalb nicht mehr mit diesem Text auseinander setzen sollte, zumal er entgegen anderslautenden Behauptungen meiner Meinung nach überholt ist (Aderno), und sexistische und (sozial)-rassitische Passagen enthält, bleibt letztlich jedem selbst überlassen.

Herrschaftskritik mit Marx?
Ich wage zu behaupten, Marx hat zwar Kapitalismus kritisiert und die Unterdrückung eines Proletariats beklagt, jedoch nicht Herrschaft kritisiert. Marx möchte nämlich die existieren-den Missstände durch eine „Diktatur des Proletariats“ lösen. Wo bitte ist eine „Diktatur der Netten“ herrschaftskritisch? Genau. Gar nicht. Auch fehlt bei Marx eine Analyse von z.B. diskursiver Herrschaft. Marx findet ja, dass das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmt. Also müsste sich nur die Produktion befreien, und alle sind frei. Alle Normungen, Zurichtungen, Rollenverhalten und Herrschaftselemente der kulturellen Grammatik hätten die Menschen dann über Nacht überwunden. Wer das jetzt verkürzt findet, hat begriffen, worauf ich hinaus möchte…

Perspektiven?
Allerdings muss ich gestehen, das Marx auch coole Sachen geschrieben hat, z.B.: „Deutschland- Die Scheiße an sich“. Ebenfalls zutreffen ist: „Deutschland- Nie wieder!“ – Diese Erkenntnis hatte allerdings auch Marlene Dietrich. Wer mehr über die „Dunkle Seite der Marx“ wissen möchte, sollte sich die kleine gleichnamige Ausstellung im Freiraum anschauen.

Fußnoten:

Schacher: Veraltetes Wort für „Handel“ mit negativer Wortbedeutung..
(1) Marx, Die Frühschriften, Alfred Kröner Verlag Stuttgart, S.201
(2) Selbes Buch, S.202
(3) Selbes Buch, S.203
(4) Selbes Buch, S.202
(5) Selbes Buch, S.205
(6) Marx an Engels am 30.Juni 1862 Das Original liegt im IISG- Amsterdam, wiedergegeben in MEW aaO 30, 257. Bei Bebel/Bernstein fehlt das Zitat.

Literatur: Irving Fetscher; Marx
Konrad Löw: Mythos Marx und seine Macher
Marx, Frühschriften
Marx, Das Kapital

Der Text als .pdf:
marx

Keine Kommentare »

No comments yet.

RSS feed for comments on this post. TrackBack URL

Leave a comment