Husuma

17. März 2007

NGOs: Bestandteil postmoderner Herrschaft?

Allgemein haben NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) wie Greenpeace oder Attac den Ruf, den Mächtigen durchaus auch auf die Füße zu treten, anstatt selber Bestandteil dieser Sphären zu sein. Schließlich provozieren NGOs oft durch ihre Aktionen, weisen mit ihren Kampagnen auf Missstände hin und haben nicht selten Kontakt mit der Polizei. Aber hält der rebellische Ruf auch heute noch einer kritischen Betrachtung stand?

Als z.B. Greenpeace vor 30 Jahren gegründet wurde, war die Sache klar: Es geht um nichts weniger als die Rettung der Welt. Die spektakulären Aktionen, die den Rahmen des bisherigen politischen Engagement deutlich sprengten, gingen um die Welt. Der französische Geheimdienst hielt die Greenpeace-Proteste gegen Atomtests für so gefährlich, dass er kurzerhand das Greenpeace-Schiff „Rainbow Warrior“ sprengen ließ, und einen Aktivisten tötete. Heute hingegen gehören Demonstrationen und Banner fast schon zum Stadtbild einer Metropole und regen kaum noch jemanden auf. Und auch Greenpeace hat sich deutlich gewandelt.

Hunderte MitarbeiterInnen können viele Millionen Euro in ihre Kampagnen stecken. Außerdem ist Greenpeace Mitglied in vielen internationalen oder überstaatlichen Organisationen und nutzt dieses auch für massives Lobbying, z.T. auch sehr erfolgreich (z.B. Gentechnik oder REACH). Aber wie wirkt sich der Erfolg auf Greenpeace aus?

Beispiel Nationalpark Lobau

Von November bis Ende Dezember 2006 demonstrierte Greenpeace mit anderen Organisationen in der Wiener Lobau gegen einen Autobahntunnel. Dieser Tunnel wird Teilstück einer länderübergreifenden Transitroute von der Ostsee bis zum Mittelmeer, und wird den Anwohnern als weitere Wien-Umfahrung verkauft. Der Tunnel selber unterfährt den „Nationalpark Donauauen“. Die Abgas-Lüftungsschächte, für die keine Filter vorgesehen sind, werden genau an der Grenze zum Park stehen. Um den Tunnelbau beginnen zu können, musste die Asfinag (hoch verschuldete AutobahnbetreiberIn) erst Probebohrungen durchführen. Da diese im Nationalpark stattfinden müssen, gilt die Bohrgenehmigung nur von November bis März. Da das Zeitfenster für die Bohrungen somit relativ eng ist, war die Strategie der NGOs einfach aber effizient: Ohne Probebohrungen keine Autobahn.

Um den Beginn der Bohrungen zu verhindern, errichteten lokale BürgerInneninitiativen und Wiener NGOs ein AktivistInnen-Camp an der Einfahrt zum Nationalpark und blockierten den Bohrbeginn mit gewaltfreiem Widerstand. Greenpeace war an den Vorbereitungen kaum beteiligt. Trotzdem war in fast jedem Pressebericht die Beteiligung von Greenpeace an prominenter Stelle hervorgehoben. Die Medienprofis von Greenpeace hatten ihr Aktionsmobil geschickt positioniert: Direkt am Eingang zum Camp. In der Folge wurde Greenpeace von der Öffentlichkeit als legitime SprecherIn des Camps wahrgenommen, obwohl dies nicht den Realitäten im Camp entsprach.

Gegen Ende des Camps wurde die mediale Wahrnehmung aber endgültig Realität: Greenpeace und Global 2000 (Österreische „Friends of the earth“-NGO) nahmen eine SprecherInnenrolle ein, indem sie einen Vertrag mit der Stadt Wien vorlegten, dessen Inhalt ein faules Tauschgeschäft war: Die NGOs brechen die Besetzung ab, dafür verzichtet die Asfinag auf Schadenersatzklagen und die VerkehrspolitikerInnen und VertreterInnen der NGOs bilden einen Runden Tisch, auf dem die Verkehrspolitik neu verhandelt werden soll. Dieser Vertrag wurde den beteiligten Bürgerinitiativen unterschriftsreif vorgelegt. Die meisten Camp-AktivistInnen erfuhren erst aus der Presse vom „Weihnachtsfrieden in der Lobau“(GP-Homepage).

In der Tendenz werden ähnliche Lösungen immer häufiger angewandt. Die Regierungen bilden Runde Tische, Ausschüsse, Komitees etc, die sich in keiner Verfassung wiederfinden, in denen aber Projekte und Entscheidungen vorab mit NGOs und Interessensverbänden abgeklärt werden. Das ist für beide Seiten vordergründig von Vorteil: Die NGOs sitzen mit am Verhandlungstisch in der „großen“ Politik. Dies suggeriert zum einen Einfluss, zum anderen bringt es durchaus den ein- oder anderen Erfolg für die jeweilige Zielgruppe. Zudem sehen es die SpenderInnen gerne, wenn „ihre“ NGO mit dem Hauch des „Wichtigen“ umgeben ist. Und für die Regierungen ist es praktisch, bei „kritischen“ Projekten oder Entscheidungen bereits in der Planungsphase potentielle GegnerInnen mit ins Boot zu holen, da diese dann kaum Widerstand leisten werden. Zudem wird es für „Einzelaktivisten“ (also Leute, die das NGO-Prozedere nicht mitmachen wollen) sehr viel schwerer, ihre Kritik in den Medien zu platzieren oder ihre Positionen einer breiten Öffentlichkeit zu prÀsentieren, wenn die „großen“ NGOs des jeweiligen Themengebiets nicht mitziehen. Somit reduzieren sich die Möglichkeiten für erfolgreichen Widerstand noch weiter, wenn sich die NGOs an der sog. „Governance“ beteiligen.

Langfristig könnte sich diese „Governance“ auch generell etablieren, denn verschiedene NGO-VordenkerInnen stellen Forderungen in diese Richtung: „Wir brauchen faire Regeln, wir sitzen schließlich in einem Boot. Diese universellen Regeln, Gesetze und ethischen Grundsätzen finden sich schon in „Utopia“. Sie werden heute in den Konzepten zu „Global Governance“ vehement eingefordert“ (Wolfgang Pekny, Greenpeace CEE (*2)). Dass die NGOs in diesem Herrschaftssystem eine tragende Rolle spielen werden, steht für Pekny außer Frage: „Die Wende wird naturgemäß nicht von den Konzernen und den politischen Eliten, sondern von der europäischen Zivilgesellschaft eingeleitet werden“ (ebd).

Warum aber die „Governance“ soviel besser sein soll, als das heutige System, nur weil die NGOs endgültig integriert werden, steht nirgends. Als Hauptargument für eine wünschenswerte Integration in ein postmodernes Herrschaftssystem führen verschiedene NGOs an, dass es in der Welt angeblich demokratischer zuginge, wenn die NGOs direkt an Entscheidungsprozessen beteiligt seien, da sie in diesen die Stimme der Menschen vertreten würden, die bisher übergangen werden. Dieser romantische Gedanke, dass es sinnvoll sei, stellvertretend für andere Menschen Entscheidungen zu treffen, deren Folgen diese dann aber trotzdem betreffen, obwohl sie nicht gefragt, sondern „vertreten“ wurden, macht genau die Quintessenz des bisherigen Herrschaftssystems aus.

Auch soziologisch ist die Stellvertretung durch NGOs problematisch: Die NGOs, die im globalen Entscheidungsprozessen eine Rolle spielen, stammen alle aus den sog. westlichen Ländern. Deren SpenderInnen meistens auch. Zudem finden sich diese hauptsÀchlich im sogenannten liberalen BürgerInnentum, also einer Zielgruppe, die eher von der Globalisierung profitiert. Dass nun die Menschen, deren globale Interessen tendenziell übergangen werden, von Organisationen „vertreten“ werden sollen, deren Background eher auf der „GewinnerInnenseite“ zu verorten ist, wirkt fragwürdig. Fragwürdig ist auch, ob jene Menschen überhaupt von NGOs vertreten werden wollen. Gefragt hat sie zumindest niemand. Es scheint so, als dass sich die NGOs eher selbst ermächtigen, und sich Kraft eigener diskursiver Macht (Zugang zu Medien) zu Vertreterinnen anderer Interessen machen.

Die Forderung nach „demokratischeren Entscheidungsprozessen“ ist für viele NGOs zudem ein stumpfes, oder sogar zweischneidiges Schwert, gleichen ihre eigenen Strukturen doch oft eher Wirtschaftsunternehmen mit angeschlossener Marketing-Abteilung. Gerechtfertigt wird diese Organisationsform mit einen angeblichem Zwang zur Professionalisierung. Mag sein, nur demokratisch ist dies eben nicht.

Einen Ausblick noch: Dass viele NGOs für ihre Ziele in einer „Global Governance“, wie andere Interessensgruppen auch, nur gewöhnliche Machtpolitik betreiben werden, lässt sich leider schon erahnen: „Greenpeace richtet heute einen Appell an die EU: Am Gipfel in Kopenhagen müssen unbedingt strengere Gesetze für maritime Transporte und für saubere, gesunde Ozeane verabschiedet werden.“(*3) oder „Greenpeace macht Gesetze“ (*4). Außer Verboten und die Option, diese auch mit Gewalt durchzusetzen, fällt den Verantwortlichen auch in einer „Global Governance“ wenig ein.

(*2) https://www.greenpeace.at/1000.html
(*3) https://info.greenpeace.ch/de/newsandinfo/news/NewsArchiv02/copy97_of_index
(*4) https://info.greenpeace.ch/de/chemie/politik/chemiepolitik/index

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