Husuma

17. November 2006

Welchen Sinn macht Strafe?

Die Studie ist überraschend und kommt aus berufenem Munde. Überraschend ist sie nicht vom Inhalt her, sondern dass das zu Erwartende offiziell bestätigt wird. Berufener Mund deshalb, weil Auftraggeber das Bundesjustizministerium ist und es sehr glaubwürdig klingt, wenn die Bundesregierung selbst zu ihren eigenen Strategien sagt: Das ist Unsinn: Strafe und Knast machen alles schlimmer.

Rückfallstatistik des Justizministerium 2004
Anfang 2004 veröffentlichte das dundesdeutsche Justizministerium eine „Rückfallstatistik“ zur Wirkung von Strafe. Das spannende Ergebnis hört sich so an: „Die zu einer Freiheitsentziehenden Sanktion Verurteilten weisen ein höheres Rückfallrisiko auf, als die mit milderen Sanktionen Belegten. Also: Je härter die Strafe, desto sicherer die Kriminalisierung durch selbige. Das ist nicht überraschend, sondern deckt sich mit allen Beobachtungen zu Autorität: Je autoritäre die Erziehung, desto gewaltförmiger in der Tendenz der Umgang der so Erzogenen mit ihren
Mitmenschen. Je autoritärer das persönliche Umfeld, desto gewaltförmiger der Umgang der Menschen untereinander (z.B. im Knast). Je autoritärer ein Staat, umso mehr Gewalt zwischen den Menschen in ihm (jeweils in der Tendenz). Die Forderung nach Abschaffung von Knästen, Justiz und Polizei ergibt sich schon aus diesen Überlegungen.

Mehrere weitere kommen hinzu: Die Existenz von Repressionsstrukturen ist selbst immer auch Ursache für den Wunsch nach Einsatz derselben zu bestimmten Zwecken. Herrschaft und Herrschaftsausübung folgen unmittelbar aus der Möglichkeit dazu. Wenn ich die Waffe in der Hand habe (oder eine Polizei durch entsprechende Gesetze zum Handeln veranlassen_ kann), steigt meine Neigung, mich mit meinen Mitmenschen nicht mehr zu einigen, sondern sie zu zwingen.

Fast alle Gewalttaten zwischen Menschen haben spezifische Gründe, die nicht wiederkehren. Wer einen anderen Menschen aus Rache, angestautem Ärger oder Neid umbringt, oder verletzt, wird das nicht mit größerer Wahrscheinlichkeit wieder tun wie andere Menschen auch. Das macht die Tat nicht besser, es zeigt aber, dass Strafe der Genugtuung Dritter dient, aber nicht zu Veränderung von Verhalten führt. Ganz im Gegenteil: Die asozialisierten Verhältnisse im Knast können bewirken, was ohne den Knast nicht passieren würde: Die Fortsetzung von gewaltförmigem Verhalten. Viele Gewalttaten haben eine Vorphase, z.B. sexueller Missbrauch in Form von verbalen Übergriffen oder Drohungen, Schläge bis hin zum Mord in Form von massivem Streit. Wenn hier das soziale Umfeld nicht weggucken würde („Darüber redet man nicht“ über „das_ geht Dich nichts an“ bis zu „das beschmutzt die Ehre unserer Familie“), sondern intervenieren und die VerursacherInnen zur Rede stellt, würden die meisten Eskalationen hin zu Gewalttaten gar nicht mehr stattfinden.

Strafe dagegen greift erst ein, wenn es zu spät ist. Die weitaus meisten Straftaten, Häftlinge und auch Paragraphen im Strafgesetzbuch haben mit Gewalt zwischen Menschen aber gar nichts zu tun. Es sind Handlungen mit wirtschaftlichem Hintergrund oder Ungehorsam bzw. Sabotage gegen den Staat. Erstere sind bei genauerer Betrachtung fast immer Umverteilungen von Oben nach Unten, d.h. Menschen holen sich etwas, wo es mehr davon gibt (oftmals sogar, ohne dadurch andere Menschen zu schädigen). Wer jemand anderes das Fahrrad klaut, schädigt die andere Person. Wer aber kein Handy hat und Karstadt, T-Punkt oder Vodafone bieten Tausende an, so ist das Wegnehmen von einem Umverteilung. Aus Profitinteressen ist das unter Strafe gestellt.

Mit dem zweiten großen Block im Strafgesetzbuch schützt sich der Staat selbst. Mensch darf seine Hymne und Fahne nicht verunglimpfen oder PolizistInnen nicht beleidigen. Und etliches mehr.

Zu alledem gibt es verbotene Dinge, die niemanden stören: Nur der Staat will eine bestimmte Ordnung aufrechterhalten. Drogenkonsum, Parties auf der leeren Straße, bunte Graffitis an grauen Behördenwänden und ähnliches gehören dazu.

Strafe und Repression angreifen
Strafe dient nie den Menschen, sondern der Aufrechterhaltung einer Ordnung, die durch Interessen geleitet wird. Den Interessen derer, die gerade bestimmen, was geschehen soll. Wer Politik gegen Herrschaft machen will, greift an dieser Stelle etwas sehr Symbolisches an. Etwas, was den Kern von Machtausübung betrifft. Deutschland ohne Nazis oder ohne Castor: Das ist denkbar. Deutschland ohne Justiz und Polizei aber kaum. Ein Grund mehr, Repression grundsätzlich in Frage zu stellen und damit Visionen einer Gesellschaft jenseits von Staaten, Erziehung und Strafe überall ins Gespräch zu bringen. Das kann über den direkten Angriff auf
Repression, Kontrolle und Strafe erfolgen (von Störung, Theater, Graffiti bis Militanz). Zudem ist jede Situation, in der Repression auftritt, eine Chance, selbige zu thematisieren, also Kontrollen, Verhaftungen oder Gerichtsprozesse in eine Aktion zu wenden.

Internet

Die Seiten mit Tipps für Gerichtsverfahren: https://www.prozesstipps.de.vu

Hintergrundtexte, Aktionsideen und mehr zu kreativer Antirepression. https://www.projektwerkstatt.de/antirepression

Informationen zu einer umfangreichen Sammlung von krassen Erfindungen und repressiven Durchgriffen seitens Polizei, Justiz, Presse und Politik im Raum Giessen.
https://www.polizeidoku-giessen.de.vu

Keine Kommentare »

No comments yet.

RSS feed for comments on this post. TrackBack URL

Leave a comment