Husuma

4. August 2006

Nazi-Hetze zeigt Wirkung


Bis April 2006 glich die politische Situation in der Stadt einem Schwelbrand: In der Stadt war die übliche Mischung aus Fremdenfeindlichkeit, Abgrenzungsbedürfnis und „Wir sind ja nicht ausländerfeindlich, aber…“ durchaus anzutreffen. Zudem gibt es einige umtriebigen Rechtsextremisten, aber der Funke war noch nicht ins Pulverfass gefallen. Dies ist mittlerweile geschehen.

Ende April treten Mitglieder der Kameradschaft NF zum ersten Mal völig offen zum Flyer verteilen in der Innenstadt auf. An vielen Laternenpfählen, Wänden und Telefonzellen künden fortan Aufkleber, Schmierereien und Plakate von der Aktivität der Kameradschaft. Besonders häufig wurde hierbei gegen das soziokulturelle Zentrum Speicher, und die „linken kriminellen Zecken“, die sich dort träfen, polemisiert.

Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte diese Kampagne am 17.5.06, als im Speicher eine Infoveranstaltung über Justiz im Dritten Reich mit Dr. Ulf Bästlein unter Polizeischutz stattfinden musste, weil mehrere Mitglieder der Kameradschaft NF versuchten, die Veranstaltung zu stören. Von Seiten der NPD wird Husum sogar zur Hochburg einer angeblich gewaltbereiten, kriminellen Antifa-Bewegung stilisiert, in der sich angeblich sog. „nationale Jugendliche“ nicht auf die Straße trauen könnten, weil sie damit rechnen müssten, Opfer von Gewalttaten zu werden. Laut einem Augenzeugen hat sich die wahrscheinlich gemeinte Situation auf der Neustadt allerdings etwas anders dargestellt: In einer Husumer Discothek hätten zwei Personen, die sich durch ihre Kleidung (offen faschistische Sprüche) als Neonazis zu erkennen gaben, gezielt Streit gesucht. Daraufhin seien diese von den Tïürstehern des Hauses verwiesen worden. Als die Nazis der Aufforderung nicht nachgekommen und hinaus geworfen worden.

Wenige Tage später setzt die NPD nach: Wieder sei es in Husum zu Gewalttaten gekommen: Zu einer Entführung und Freiheitsberaubung. Mensch habe Anzeige erstattet. Wieder hört sich die Geschichte bei einem Augenzeugenbericht etwas anders an: „Wir waren in der Havana Bar, als mich auf einmal XY ansprach, dass draußen Susanne G. stünde und ihn voll labere. Nach ca. 5 min. kam sie dann auch rein. Sie sprach mich an und meinte, dass sie sich gerne mit mir unterhalten wolle und dass sie kein Nazi mehr sei, da sie die Schnauze voll habe, weil sie am Wochenende davor von Jemandem im Club geschlagen worden sei.“

Der Augenzeuge berichtet weiter: „Im weiteren Gespräch erzählte sie, dass sie uns alles erzählen wolle, was sie wüsste. Daraufhin begann sie, uns sämtliche Infos über die Nazis zu geben: Tel. Nummern, Adressen, wer mit wem klüngelt und wo die Aufkleber herkommen. Als es schon spät wurde, sagte ZXY zu mir: „Sollen wir die nicht mit nehmen und die noch ein wenig verarschen?“ Darauf antworteten alle: „Ja, machen wir“. Daraufhin gingen wir mit ihr Richtung Untere Neustadt. Als wir am Club vorbei kamen, schauten die Türsteher nicht schlecht, als sie Susanne mit uns sahen. Daraufhin antwortete ich denen, dass das schon alles seine Richtigkeit habe. Während wir durch die Stadt gingen, rief Susanne die ganze Zeit: „Nazis raus!“ und ähnliches, wo mit unter auch fälschlicherweise ihr ein paar Parolen der Gegenseite rausrutschten, die sie aber nach den ersten 2 Wort abbrach und sich entschuldigte. Das passierte ihr mehrfach.

Auf der Party nahm CXY Susanne bei Seite und notierte noch einmal alles ganz genau. Nach dem Gespräch fing IUJ an sie raus zu komplimentieren, was uns natürlich gerade recht war, da wir alle Infos von ihr hatten. Ich folgte ihr noch, um zu schauen, wo sie hin geht und sah, das sie schnurstracks zur Wohnung ihres Vaters lief. Wo sie wohl die Geschickte erzählt haben muss, die jetzt auf der NPD-Seite steht. Oder die Wahrheit und die Beiden haben sich das ausgedacht.“

Bis heute sind keine Verfahren gegen die wahrscheinlich Beschuldigten eröffnet worden, nicht einmal polizeiliche Vorladungen gab es in dieser Sache bisher. Trotzdem nutzte die Husumer Polizei ihre Chance zu Ermittlungen gegen die Speicher-Jugendgruppe. Ein Jugendlicher wurde laut seinen Angaben auf offener Straße von Polizeibeamten Husumer Polizeibeamte auf offener Straße angehalten. Sie drohten ihm mit Freiheitsentzug, wenn er nicht antworte. Die Beamten fragen ihn nach Personen, die sie dem „Linken Spektrum“ zuordnen, und zeigen ihm Fotos von Personen. Anscheinend steht dies mit den Anschuldigungen der NPD in Zusammenhang. Trotz mehrmaliger Anfrage möchte die Polizei zu dem Vorfall keine Stellungnahme abgeben.

Fast scheint so, als ob die offensichtlich absurden Anschuldigungen gut in das Weltbild einiger Beamten passen würden. Oder es ein anderes Interesse gab, potentiell als unbequem geltende Subkulturen auszuforschen. Da das Antifaschistische Spektrum in Husum keine Antwort auf diese Aktivitäten fand, trauten sich die Kameraden am 15.6.06 wieder einen öffentlichen Auftritt. Sie versuchten, mit einer dt. Reichsflagge (schwarz/rot/weiß) an der Demonstration gegen die Abschiebung der Familie Makitu in den Kongo zu beteiligen. Sie wurden allerdings von der Polizei mit Platzverweißen belegt, nachdem es zu Rangeleien wegen der Fahne gekommen. Bevor die Nazis gingen, drohten sie noch einer Person, die Fotos von der Szene gemacht hatte, mit Gewalt, falls sie diese veröffentliche. Eine Woche später bei der zweiten Demonstration für Familie Makitu war ihre Zielsetzung offensichtlich eine andere: Vom Balkon des Stormcafes fotografierten sie mit einem Teleobjektiv die TeilnehmerInnen.

Leider scheint es der Kameradschaft bereits gelungen zu sein, Einfluss auf die diskursive Ebene in Husum zu nehmen. Ein Mitglied der örtlichen CDU wurde bereits im Speicher vorstellig, um nach „dem Rechten zu sehen“. Auch berichten Menschen, die auf der Husumer Wache waren, um Sachbeschädigungen und Propagandadelikte mit faschistischem Hintergrund zu melden, über offenkundiges Desinteresse der anwesenden Beamten. Auf der anderen Seite sagte Ferdinand Frenzer, Polizist in Husum, laut SpeichermitarbeiterInnen in einem Gespräch völig offen, dass er der Meinung sei, dass die Verantwortlichen aller politischen Aktionen gegen die Bundeswehr im Juni 2006 seiner Meinung nach sicher aus dem Speicherumfeld kämen. Beweisen könne er dieses jedoch noch nicht.

Wie es scheint, geht die Strategie der Nazis auf, weil sich leicht willige HelferInnen finden.

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