Husuma

1. Mai 2006

Die linke Sehnsucht nach dem starken Mann

Che ist lange tot, sein Lebenswerk gescheitert, Kuba pleite, die UdSSR untergegangen, sein Foto millionenfach zu Geld gemacht und selbst die sog. Freien Kameradschaften aus dem Neonaziumfeld schmücken ihren Bauch mit seinem Bild. Trotzdem ist er für viele Menschen immer noch ein positives Symbol. Warum eigentlich?

Die Revolution
An der Kubanischen Revolution von 1958 kann es eigentlich nicht liegen. Die historische Endwicklung Kubas seit 1958 beweißt sehr deutlich, dass es für die Menschen fast komplett egal ist, ob ein multinationaler Konzern wie United Fruit oder eine ethnonationale (1) kommunistische Partei ihnen das öffentliche Leben diktiert. Nur wenig hat sich verändert: Früher gab es in den Dörfern keinen Strom für Konsumgüter wie Weihnachtslichter, und heute auch nicht. Vor der Revolution waren Gewerkschaften verboten, heute ist es Zwang, in einer zu sein. Früher mussten Gewerkschaftler mit Repressionen rechnen, heute werden Gewerkschaftsdissidenten eingesperrt. Mit der Revolution änderten sich nur die Vorzeichen der Unterdrückung, nicht aber die generelle tendenzielle Unfreiheit des Individuums auf Kuba.

Erfolgreiche Revolution?
Häufig werden das vorbildliche Schul-und Gesundheitssystem auf Kuba als Beleg für einen Erfolg der Revolution benannt. Dies ist zum einen ein historischer Diskurs: Wenn es schon nicht gelingt, die „Kapitalisten“ wirtschaftlich zu überholen, dann wenigstens im sozialem Sektor. Zudem entlarvt diese Sichtweise eine krass technologische Menschensicht. Als bräuchte ein Mensch zum Glücklich sein nur „Hardware“ wie Bildung und Gesundheit, und alles andere sei egal. Diese „Technische Sichtweise“ hat ihren Ursprung in der Technologie- und Fortschrittsgläubigkeit vieler Marxisten (die deutschen KPs bejubelten in den 1960’- 80’ z.B. den Bau von AKWs). Das Menschsein wird hierbei auf eine Rädchenfunktion in der „neuen sozialistischen Gesellschaft“ beschränkt. Der Mensch soll seinen Beitrag bei der „Aufrichtung des Sozialismus“ leisten, das Denken den KP-Funktionären überlassen und bitte die Klappe halten. Das Individuum soll im Kollektiv „Sozialistische Gesellschaft“ aufgehen. Dies rechtfertig dann Fremdbestimmung, zentralistische Planwirtschaft und Parteiherrschaft. Allerdings muss ich sagen, eine gute medizinische Versorgung würde ich auch nicht verachten, wenn ich in einem Land leben würde, in dem ich damit rechnen müsste, für das Schreiben dieses Textes eingesperrt, geschlagen und gefoltert zu werden.

Che konkret

In vielen Biografien wird Che als äußerst konsequent, sehr hart im Nehmen und äußerst willensstark abgefeiert (z.B. wg. Asthma-Krankheit). Ich würde ihn eher rücksichtslos und skrupellos nennen: In seiner Armee lies er Deserteure (2) hinrichten. Er fand, dass Untergebene Befehle nicht verstehen müssten, sondern bloß ausführen. Er hatte anscheinend auch keinen Bock, dem Fußvolk Dinge zu erklären. Es sollte einfach Befehle ausführen. Jetzt werden leider viele sagen: „Ja, aber anders lässt sich eine Armee nicht führen!“ Wen dem so sein sollte (Gegenbeispiel: CNT in Spanien 1936), dann scheint ein Krieg nicht das geeignete Mittel zu sein, um eine befreite Gesellschaft zu verwirklichen (falls Che das überhaupt wollte). Ich halte es für gefährlich, anzunehmen, dass eine hierarchische Organisation nach einem Sieg in der Lage ist, hierarchiefrei zu arbeiten. Am Beispiel der absolut hierarchischen deutschen Linken, wo Plenumsfetischismus noch die harmloseste Form darstellt, zeigt sich, welche Emanzipation bei Revolutionäris eintritt, die hierarchische Organisationsmodelle übernehmen: Nämlich gar keine.

Freiheit mit Knast?
Außerdem war Che für so freiheitliche und emanzipatorische Maßnahmen wie Zensur, politische Polizei, Hinrichtungen und Knast ohne Gerichtsurteil für politische Gegner und Leute, die nicht seiner Meinung waren. Che war zudem die treibende Kraft bei der ideologischen Ausrichtung Kubas auf die Sowjetunion. Doch damit nicht genug: Das legendäre Kongoabenteuer beendete Che mit den Worten: „Mit den Afrikanern ist keine Revolution zu machen!“ Mehrmals beschwerte er sich über die angeblich faulen Schwarzen, die den ganzen Tag nur schlafen würden, nicht kämpfen könnten und weder Ordnung noch Disziplin zeigen würden. Hier offenbart sich der typisch eurozentristische Rassismus der Kolonialzeit, dem anscheinend auch Che aufgesessen war. Zudem zeigen diese Äußerungen auch, das Che nur stärke/machtdefinierte Denkkategorien kannte.

Che theoretisch: Die „Neue Mensch“ -Theorie“

Bisher wäre das Fazit: „OK, Che hat nix zur Emanzipation der Menschis beigetragen. Aber er hat es wenigstens versucht, aber sich in den Mitteln geirrt.“ Doch auch das lässt sich nicht halten. Ches theoretisches Hauptwerk ist die „Neue Mensch-Theorie“ (3). Kurzzusammenfassung: Der Mensch ist schlecht. Nur Ordnung und Disziplin können ihn zum sozialem Denken bewegen. Deshalb muss der Sozialistische Staat alle „Alten Menschen“ umerziehen, bis alle im sozialistischen Kollektiv aufgegangen sind, und zum Wohle der kollektivistischen Volksgemeinschaft (4) beitragen, um auch individuell weiter zu kommen. Damit erweißt Che sich als noch eifriger Staatstollfinder als Marx und Lenin. Die beiden fanden, dass „die Diktatur des Proletariats“ nur „kurz“ dazu dienen solle, die alten Eliten kurz zu halten. Che erweitert dieses „kurz“ auf „länger“ indem er die „Sozialistische Erziehung“ zu den Aufgaben des Staates verklärt. Außerdem finde ich, dass die Einteilung in „Neuer Mensch“ versus „Alter Mensch“ im Kern eine rassistische ist. Mit welchem Recht erklärt Che die einen für „wertvoll“ und die anderen für „wertlos“? Und mit dem Wissen um Che’s im Kern rassistische und menschenverachtende Grundüberzeugung fällt es mir schwer zu glauben, dass die Massenverhaftungen und Erschießungen von Deserteuren und Andersdenkenden nicht systematisch Che’s Weltsicht folgten.

Ist Egoismus etwas Schleschtes?
Der dritte Punkt ist so simpel, das er oft vergessen wird: Die „Neue Mensch“-Theorie ist falsch. Der Fehler ist, das sie den Egoismus verteufelt. Egoismus ist die Antriebskraft des Menschen. Schlichtweg alle Verbesserung seit der Urzeit wurden erzielt, weil Leute sich überlegten: Wie kann ich mein Leben besser, schöner, einfacher machen?“ Damit eine herrschaftsfreie Gesellschaft funktionieren kann, hätte Che nicht überlegen sollen, wie er am besten alle egoistische (wahrscheinlich fähigen) Leute um die Ecke bringt, sondern überlegen sollen: „Wie ändere ich die Rahmenbedingungen so, das den Leuten klar wird, das sie aus gemeinschaftlichen, kooperativen selbstorganisierten Handel den größten individuellen Vorteil ziehen?“

Fußnoten
(1) ethnonational meint eine politische Rhetorik, die ständig das „eigene Land“ „eigene Volk“ oder ähnliches betont. Damit wird nach außen abgegrenzt und nach innen aufgewertet, meistens um die eigene fatale Politik zu rechtfertigen. Mir fällt keine KP ein, die sich definitiv nicht national definiert.

(2)Deserteure, sind Leute, die keinen Bock haben, einen Befehl ausführen, oder von der Truppe nach Hause gehen, weil sie keine Lust mehr haben, sich totschießen zu lassen. Ich finde, diese individuelle Entscheidung sollte respektiert werden, und zum anderen zeigt die Existenz von Befehlen und Deserteuren, wie selbstbestimmt und freiwillig es bei Che zuging. Außerdem sollte es in einer herrschaftsfreien Organisation völlig normal sein, das Kooperationen enden, wenn Kooperationspartner keine Perspektive mehr für sich in der Kooperation sehen. Und das Che diese Leute auch nicht erschießen musste, zeigt wieder die CNT im Spanischen Bürgerkrieg (die haben nur reale oder angebliche „Plünderer“ erschossen…)

(3) Die Focus- Theorie habe ich hier bewusst vernachlässigt, weil ich zum einen bestreite, das es sich bei einer Handreichung für den siegreichen Guerilla um ein Theoriewerk handelt. Zum zweiten finde ich ein derartiges Handbuch wenig förderlich für meine Situation in Westeuropa und drittens hat Che in Kongo und Bolivien selbst bewiesen, wie übertragbar sein Modell der kubanischen Revolution ist.

(4) Volksgemeinschaft.
Ja, diesen Begriff aus der konservativen Leitkultur habe ich unter Che’s Theorie gemixt, weil ich finde, das er sehr gut illustriert, wie mensch sich das praktisch vorstellen kann. Allerdings hab ich mir nationalistische/kommunistische Wendungen wie „Großer Vaterländischer Krieg“ und Maximo Lider (Großer Führer, Titel Castros) nicht ausgedacht. Auch mit der Personenkultpropaganda im Ostblock und heute noch auf Kuba hab ich nix zu tun.
Übers. „Seien wir realistisch, fordern wir das Unmögliche! Che (Von Bakunin ist übrigens der selbe Ausspruch überliefert, was wie ich finde, viel über die Originalität von Ches populärstem Spruch aussagt.).

Kurzbiografie
14.Juni 1928: Geburt Guevaras

1953: Abschluss des Studiums

1954-1956: Che in Mexiko als Arzt

Juni 1956 – August 1956: Gefängnishaft in Mexiko wegen Zugehörigkeit zur Gruppe Fidel Castro
November 1956: Legendäre Fahrt auf der „Granma“ nach Kuba, zusammen mit 82 Aufständischen

1956 – 1959: Teilnahme am Kampf auf Kuba

2. Januar 1959: Besetzung der Festung La Cabana (Havanna), Einrichtung von Tribunalen zur Aburteilung von politisch Aktiven mit einer Meinung, die Che nicht passte

1960: Ernennung zum Direktor der kubanischen Nationalbank

1960 Che erfindet die kubanischen „Lager für Besserungsarbeit“

1961-65 Minister für Industrie

16. Januar 1964: Unterzeichnung eines kubanisch-sowjetischen Vertrags über technische Hilfe

1964 In Argentinien scheitert ein von Che initiierter Guerilla

Juni 1965: Che reist nach Kongo und kämpft in Zaire zusammen mit einem Typen namens Laurent Kabila gegen die Mobutu-Diktatur (Kabila wurde 1997 selber Diktator und 2003 von seiner Leibwache erschossen. Sein Sohn Josef ist heute Präsident).

November 1966:
Ankunft im Partisanenlager in Bolivien

09.10.1967 Guevara wird von CIA-Agenten in Bolivien erschossen.

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